„Der 14. Internationale Kant-Kongress wird vom Institut für Philosophie der Universität Bonn und der Kant-Gesellschaft e. V. (Deutschland) veranstaltet. Im Gedenken an den 300. Geburtstag Kants und im Hinblick auf die politischen Entwicklungen unserer Tage lautet das Thema des Kongresses ,Kants Projekt der Aufklärungʻ. In Bonn wird im Jahr 2024 zugleich das 75. Jubiläum der deutschen Verfassung gefeiert, die dort am 23. Mai 1949 als ,Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschlandʻ veröffentlicht wurde und damit in Kraft getreten ist.“
Mit diesem einleitenden Text wurde der Kongress auf der Homepage der Universität Bonn angekündigt. Er nahm Bezug auf die 1784 veröffentlichte Berlinische Monatsschrift „Was ist Aufklärung?“ und transportierte Überlegungen und Bedeutung dieser Gedankenwelt in die heutige Zeit mit ihren Herausforderungen. Dazu heißt es weiter auf der Homepage:
„Die Aufklärung betont die moralische Autonomie des Individuums ebenso wie die Unveräußerlichkeit der politischen Rechte für alle Menschen. Absicht der Aufklärung ist es, traditionelle Vorurteile in Religion, Staat und Gesellschaft hinter sich zu lassen. Die Aufklärung verteidigt die Prinzipien von Kritik und Emanzipation und spricht sich für eine wissenschaftsbasierte Orientierung in der Welt aus. Die Ideen der Aufklärung verstehen sich als universell: Alle Menschen gelten als gleich, unabhängig von Geschlecht, Religion, Nationalität, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung. Kant ist einer der bedeutendsten Vertreter der europäischen Aufklärung und fügt dieser Bewegung viele entscheidende Überlegungen hinzu.“
Dieser Kongress, der ursprünglich in Kaliningrad stattfinden sollte, wurde bedingt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn, nach NRW verlegt. Als Schirmherr dankte Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes NRW, allen Beteiligten für die Organisation dieses wichtigen Kongresses und betonte, die Pflicht der Philosophie sei immer noch oder gerade wieder, die Wissenschaften kritisch zu hinterfragen. Als Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn und Schirmherrin des Kongresses wies Katja Dörner auf die Bedeutung und die Tradition der Universitätsstadt Bonn hin, die viele Gelehrte und Philosophen hervorgebracht oder beherbergt hat, die sich der Weiterentwicklung des kantischen Denkens verpflichtet sahen und heute noch sehen.
Raus aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit, rein in die Übernahme von Verantwortung durch den Gebrauch des eigenen Verstandes. Stellvertretend für diesen Weg steht die wohl bedeutungsvollste Formulierung der Aufklärung, das Sapere aude: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ beziehungsweise „Wage es, weise zu sein“. Diese Aufforderung appelliert heute mehr denn je an die Menschen, mit sich selbst, anderen Weltbewohnenden und der Welt selbst verantwortungsvoll umzugehen.
Die Angst vor einer Destabilisierung der Weltlage und die Erosion von Zivilkultur durch Hass, Gewalt, Diktatur und Faschismus machen deutlich, dass die Zeiten von Entspannungspolitik wackeln oder vielleicht sogar endgültig vorbei sind. Doch Regeln braucht es auch in einer „Welt von Teufeln“, so formulierte es Julian Nida-Rümelin anlässlich eines der Abendvorträge im DHL Tower, einem der Veranstaltungsorte. Der Philosoph und Politik-/Kulturwissenschaftler war bis 2013 Vorsitzender der heute unter dem Vorsitz von Gesine Schwan stehenden SPD-Grundwertekommission und Kulturreferent der Landeshauptstadt München und Kulturstaatsminister im ersten Kabinett Schröder 1998–2002.
Frieden gilt in Kants Erbe als grundsätzliches Postulat. Sein Erhalt bedarf moralischer Prinzipien und Werte. Friedensförderung bleibt eine ständig notwendige Aufgabe, so wie die Aufklärung selbst. Die Komplexität der heutigen Welt fordert sowohl die Politik als auch die Philosophie heraus. Nida-Rümelin vermisst eine gemeinsame Friedensvision. Systemische Aufgaben erforderten Bündnisse und konstruktive Zusammenarbeit. Angesichts der aktuellen Kriege erscheint es ihm notwendig, an einer internationalen Agenda zu arbeiten.
Ein paar Fakten zum Kongress
Eine ganze Woche, vom 08. bis zum 13.09.2024, beschäftigten sich internationale Wissenschaftler, Lehrende, Philosophierende, Kantianer und Gelehrte an zehn Veranstaltungsorten in Bonn mit dem Projekt Aufklärung. Von 9.00 Uhr morgens bis gegen 21.00 Uhr abends gab es bemerkenswert vielseitige Beiträge, meist in Englisch, aber auch in Deutsch, der Sprache Kants, sowie vereinzelt auch in anderen Sprachen.
Im Rahmen des Kongresses wurde ebenfalls der Internationale Kant-Preis der Fritz Thyssen Stiftung an Prof. Dr. Paul Guyer, der Kant-Nachwuchspreis der Fondazione Silvestro Marcucci und der Kant-Gesellschaft an Prof. Dr. Karoline Reinhardt sowie der Kant-Förder-Preis an Dr. Seniye Tilev und Dr. Sebastian Abel verliehen.
Parallel zum Hauptkongress fand erstmals ein Studierendenkongress statt, der sich an eingeschriebene Studierende der Philosophie sowie Promotionsstudierende richtete. Aufgrund von über 400 Beitragenden und über 1.000 Teilnehmenden lässt sich vermuten, dass die Überlegungen Kants sich unter jungen Menschen auch heute noch großer Aktualität erfreuen. Kants Projekt der Aufklärung ist im 21. Jahrhundert angekommen. Das zeigt sich auch daran, dass neben klassischen philosophischen Fragestellungen wie Metaphysik, Rechtsphilosophie, Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie, Ethik und Moralphilosophie auch hoch aktuelle Fragestellungen wie Migration, Klimawandel, Armut und soziale Ausgrenzung in den über 20 Beitragssektionen vertreten waren.
Der Verstand als Basis für Moral und Menschlichkeit
Die Notwendigkeit, sich seines Verstandes zu bedienen, erscheint im Angesicht der aktuellen politischen und ökologischen Herausforderungen mehr als offensichtlich. „Verstand“ bildet bei Kant die Basis für vernünftiges Denken und Handeln. Egozentriertes Denken im Sinne Kants ist ein ver-rücktes Denken und kann somit keinen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Die eigene Vervollkommnung und die Ermöglichung der Glückseligkeit anderer als Ziele anzuerkennen, führen zur Grundeinstellung eines Weltbürgers.
Nur der menschliche Wille kann sich entscheiden: Wollen und Sollen fallen bei vernunftbestimmten Wesen zusammen. Auf der Basis des universalen „Sittengesetzes“ entstehen Regeln und Normen, die eine Grundlage der Selbstbestimmung bilden und zur Freiheit ermächtigen. Auf deren Basis wird ein Sittengesetz möglich. Nimmt man das Postulat von Freiheit als alternativlos an und setzt darüber hinaus neben einem Hang zum Bösen die Anlage zum Guten in jedem Menschen voraus, sind wir einzeln und gemeinschaftlich in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen – auch dann, wenn sie unangenehm sein sollten. Diese Fähigkeit ist in uns Menschen angelegt, allerdings ist es erforderlich, sie zu entwickeln und zu trainieren. Der Verstand trainiert sich nicht allein: Erst Anleitung durch Bildung und ständige Übungen schulen ihn. Das Nachplappern von anderen Meinungen ist dabei nicht hilfreich, es gilt vielmehr, eigene Überzeugungen zu generieren. So wird die eigene Urteilsfähigkeit persönlich erarbeitet. Das Streben nach der Weisheit bleibt weiterhin eine Lebensaufgabe: Weisheit kommt also nicht als Geschenk daher, sie steht am Ende vieler, auch gedanklicher Auseinandersetzungen, einer langen Gedankenkette und der Anwendung von vernünftigen Urteilen oder Entscheidungen.
Auch der Umgang mit Affekten und Gefühlen basiert auf einem steten Einüben, welches trainiert werden kann. Gefühle gehören zum Menschen, fließen ein in sein Urteil und haben somit einen Einfluss auf eine verstandesgemäße und vernünftige Entscheidung.
Eine kantische Empfehlung könnte also sein, den Gefühlen eine ihnen angemessene und nötige Aufmerksamkeit zu schenken, sie aber nicht als einzige einzige Richtschnur für das eigene Handeln anzusehen.
Die persönliche Verpflichtung, der Vernunft zu folgen – auch dann, wenn viele Sinneseindrücke, Ablenkungsmöglichkeiten, Moden oder Trends einen davon abhalten werden –, ist das Postulat des preußischen Aufklärers auch für das 21. Jahrhundert. Und diese Selbstverpflichtung leuchtete durch den gesamten Kongress und alle Beiträge hindurch immer wieder auf.
Kants Projekt der Aufklärung gilt es dabei vielleicht, über alle Generationen hinweg, als den Stein des Sisyphos zu verstehen, der immer wieder von der Bergspitze herunterrollen will und wird. Es ist ein noch nicht abgeschlossenes Projekt. Auch wenn der Mensch „als krummes Holz“ nicht vollkommen ist, erfüllt er alle Voraussetzungen, menschentaugliche Bedingungen zu schaffen, um ein menschenwürdiges Leben für alle zu ermöglichen. Den Pflichten nachzukommen und vernünftig zu handeln, das ist auch da geboten, wo die Not zur Hilfe für andere verpflichtet. Doch das bedeutet nicht, sich in einer fortwährenden Hilfssituation dauerhaft (und gemütlich) einzurichten.
Erst am Ende eines Menschenlebens zeigt sich im Sinne Kants, ob das eigene Leben gelungen ist (und sich an der Vernunft orientiert hat) und somit ein anständiges Leben im Sinne von Moral und Menschlichkeit gewesen ist.
Kant und der Klimawandel
Der menschliche Wunsch, frei zu sein, geht einher mit der Freiheit, sich zu bewegen und zu reisen. Kant selbst war ein genügsamer, wenig reiselustiger Ostpreuße, der lieber Gäste zu sich einlud und deren Reiseberichten folgte. Was würde er heute beitragen zur Debatte um den Klimawandel? Würde er Reisen als unsinnig, ja kontraproduktiv abtun?
Um für die eigene und die Glückseligkeit aller Sorge zu tragen, ergibt sich aus dem kantischen Denken die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit den Ressourcen unserer Erde. Es gilt, Krisen zu vermeiden. Es gilt, Katastrophen vorauszusehen. Effektive Maßnahmen zu ergreifen. Gefahren nicht zu leugnen. Die eigene Vernunft einzusetzen, um vernünftige Entscheidungen für sich selbst und die eigene Gemeinschaft voranzubringen. Flüchtlingsströme auch als Folge von klimatischen Bedingungen zu begreifen, die notwendige Hilfen erforderlich machen oder einen vernünftigen Umgang mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln verlangen. Die Schwierigkeiten verschiedener globaler Probleme ließen sich vor 300 Jahren noch nicht absehen, somit konnte Kant ihnen auch noch keine Aufmerksamkeit widmen. Doch selbst wenn der Nationalstaat weiterhin verantwortlich bliebe, ergebe sich eine Notwendigkeit für internationale Absprachen, wie ebenfalls von Julian Nida-Rümelin angesprochen wurde.
Mögen alle Teilnehmenden des Kongresses ihr Möglichstes tun, um im Sinne des kantischen Denkens neuen, vernünftigen Lösungen Aufmerksamkeit zu schenken, unbeirrbar nach anderen und besseren Wegen zu suchen und bei alldem den Frieden als einen anstrebenswerten Zustand im Auge zu behalten. Immerhin haben sie aus Bonn den Eindruck mitnehmen können, dass sie nicht alleine nach vernünftigen und friedlichen Lösungen suchen.
Eine weitere Möglichkeit, sich mit Kant und seinem Denken auseinanderzusetzen, bietet die Veranstaltung von DENKBARES in Kooperation mit ISSO am 04.10.2024 im Bistro des Dreikönigenhauses. Um Anmeldung wird gebeten unter:
Link zur Webseite des Kongresses: https://www.kant2024.uni-bonn.de/de
ISSO BLOG Kant zum ewigen Frieden: https://isso.de/blog/2024/04/09/zum-ewigen-frieden-nachdenken-ueber-kants-erbe-in-einer-von-kriegen-bedrohten-welt/
ISSO BLOG Kantausstellung: https://isso.de/blog/2024/01/09/isso-unterwegs-immanuel-kant-und-die-offenen-fragen-ausstellung-in-der-bundeskunsthalle-anlaesslich-von-kants-300-geburtstag/
Buch-Tipp zum Thema Kant und das Klima: https://isso.de/blog/2020/02/02/kant-und-das-klima/