Ob sich Immanuel Kant im 18. Jahrhundert wirklich mit Fragen des Klimas beschäftigte, bleibt von Christine Heybl, der Autorin dieser Lektüre, zwar unkommentiert. Das Büchlein, herausgegeben bei Punktum.grün, einer neuen Umweltreihe auf zertifiziertem myclimate Papier, liefert angelehnt an die Dissertation der Autorin zur Klimagerechtigkeit interessante Beobachtungen und Auffälligkeiten zum menschlichen Verhalten und kommentiert erkennbare Widersprüchlichkeiten.
Christine Heybl definiert Klimawandel-Eigenschaften und stellt sie in Bezug zu konkretem Verhalten. Mit einem Blick auf Kant und den kategorischen Imperativ fordert sie uns als Leser heraus, unsere Verhaltensweisen aus der Kant‘schen vernunftbasierten Perspektive wahrzunehmen und zu überdenken. Darin liegt die Besonderheit der kurzweiligen Lektüre, die trotz der Beschreibung von vielen unbequemen Fakten zum Klimawandel nicht katastrophisiert und auch nicht belehrt. Stattdessen weist sie auf die Möglichkeiten anderer (vernunftbasierter) Entscheidungen hin und appelliert im Sinne Kants an uns Menschen, die mit der Fähigkeit zur Freiheit auch eine besondere Verantwortung für ihre Entscheidungen tragen.
„Kant und das Klima“ bietet somit eine Art Reflexionsbühne, auf der sich jeder selbst und sein eigenes Verhalten betrachten, bewerten und durch andere denkbare Optionen neu ausprobieren kann. Konsequent bleibt die Autorin bei der Betrachtung von Individuen und ermöglicht es den Lesenden, unangenehme Fakten ohne Abwehrhaltung und ohne schlechtes Gewissen anzunehmen und keine gesamtgesellschaftliche Lösung zu erwarten. „In einigen Jahren werden auf dieser Erde 10 Mrd. Menschen leben, wie werden sie sich ernähren?“ Mit Kant fordert die Autorin unser Denkvermögen und unsere Vernunftorientierung heraus, die Fakten zu akzeptieren und nach Lösungen zu suchen. Sie bietet Beispiele aus ihrem eigenen Leben und bleibt dabei angenehm menschlich, weil auch sie erkennbar zwischen Vernunft und Lust ringt.
Eine Hundertzwanzig-Seiten-Lektüre, die selbst Kritiker des Klimawandels oder bisher Desinteressierte verkraften können, denn das Buch lässt sich an einem Nachmittag oder Abend lesen und bietet genug Ansätze für eine rechtfertigungsfreie Auseinandersetzung mit wem auch immer. Der Blick in die smarte Welt der Digitalisierung mit ihrem gewaltigen Energieverbrauch fehlte und zeigt vielleicht auf, dass diese jüngste Entwicklung noch nicht transparent zu sein scheint oder zu wenige Fakten erhältlich sind. Insgesamt ist das Büchlein ein Appell an die Vernunft, unbequeme Fakten und Wahrheiten zu akzeptieren und nicht länger zu verleugnen. Christine Heybl nimmt uns das schlechte Gewissen, aber gleichzeitig in die Verantwortung. So wie Kant es getan hätte.