Von Walter Ötsch und Nina Horaczek

Schon im Vorwort zur Taschenbuchausgabe von 2022 weist das Autorenteam Walter Ötsch und Nina Horaczek darauf hin, dass eine Eskalation, wie der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021, welcher als ein bewusster Angriff auf die Grundfesten der Demokratie in den USA zu verstehen war, vom damals noch amtierenden, aber bereits abgewählten Präsidenten Donald Trump selbst gepuscht worden war.

Denn Demagogie legt es, wie Ötsch und Horaczek in ihrem Buch aufzeigen, systematisch auf Eskalation an: „Eine Eskalation ist ein zentraler Bestandteil einer demagogischen Denkweise […]“. Was manchmal wie impulsives und hoch emotional aufpeitschendes Gepolter daherkommt, ist eine Folge von kalkulierten und wohlüberlegten Mustern!

Das Buch weist auf den Erzählstil des Rechtspopulismus hin und veranschaulicht die Zielsetzung dieser demagogischen Vorgehensweise, die immer einem klar erkennbaren Muster folgt: zwei gegeneinander kämpfende Gruppen.

Zum besseren Verständnis definieren sie vorab den Begriff „Demagogie“, der sich aus dem Altgriechischen herleitet: Dort steht dēmos für das Volk und agōgein für führen. Demagogie ist demnach zunächst einfach eine Führung des Volkes – hier jedoch in zweifachem Sinne: erstens als Ver-Führung (einer unzufriedenen Bevölkerung mit Verheißungen) und zweitens durch Ein-Führung eines Kunstwortes wie Volk (einer scheinbar gleichartigen, homogenen Bevölkerung, die durch einen sogenannten Volkswillen verbunden ist). Es entsteht dabei ein vereinfachendes Muster von zwei Gruppen: einem WIR und den ANDEREN. Dies ist eine einfache Formel, auf die sich das Prinzip des Rechtspopulismus bringen lässt.

Für Populisten – rechte wie linke – ist eine sich verändernde Weltlage wie die aktuelle mit Kriegen, Pandemien und Naturkatastrophen eine ideale Ausgangssituation, auf der Verschwörungstheorien ihren Nährboden finden und eine Spaltung der Gesellschaft unterstützen. Ängste werden geschürt und einfache Lösungen versprochen. Die Intensität und die Ausschließlichkeit, mit denen Gruppen gespalten und die ANDEREN gegenüber dem WIR (Volk) abgegrenzt werden, zeigt das demagogische Kalkül. Hier verbirgt sich die destruktive Kraft, die der Demokratie schaden kann. Nicht nur weil Abwertung, Hetze und Dominanzstreben zum alltäglichen Selbstverständnis werden, sondern weil dahinter ein Machtanspruch erkennbar wird, der auf einer autoritären Gesellschaftsstruktur basiert.

Graphik aus dem Buch S.18

Ötsch und Horaczek nennen aber auch Ross und Reiter der rechtspopulistischen Szene, bringen Beobachtungen aus ihrem eigenen Heimatland Österreich mit ein und zeigen an vielen konkreten Sachverhalten, wie populistisches Gedankengut manipulierenden Einfluss nimmt. Sie weisen darauf hin, dass die stetig wachsenden Aggressionen und die Gewalt von außen gestoppt werden müssen, weil sie sich nicht aus den eigenen Denkstrukturen verändern werden. Einstehen für die Demokratie und rechtliches Einschreiten, wo erforderlich, werden als notwendig erachtet. Ihr Buch wollen sie als eine Anleitung verstanden wissen, um der Verführung zu widerstehen und ihr etwas entgegenzusetzen. Dafür wenden sie ganz gezielt die Methode an, sich mit Empathie in das Denken der Populisten hineinzuversetzen, damit die Mechanismen und die aufkommenden Gefühle verstanden und nachvollzogen werden können. Manchmal fühlt sich diese Aufforderung befremdlich an, doch sie erfüllt ihren Zweck und schult den Blick für das Absichtsvolle und das Manipulative.

Die menschliche Neigung, Mythen und Märchen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, lässt sich zur Emotionalisierung gut verwenden. Gefühle können auf diese Weise leichter manipuliert werden. Wie im Nationalsozialismus wird Sprache dafür zielgerichtet eingesetzt. Schimpfwörter und sehr persönliche verbale Angriffe, wie z.B. Shitstorms oder frauenfeindliche Übergriffe im Netz, runden das Bild ab, sie sind Ausdruck von Dominanzgebaren und dienen einer konsequenten Politik der Spaltung durch Abwertung. Hierbei werden weder Parteien noch Menschen verschont.

Vieles erinnert an die Beobachtungen in der Abhandlung über die Sprache des Dritten Reiches, die „Lingua Tertii Imperii (LTI)“, von Victor Klemperer. Er hatte als Sprachwissenschaftler sein Augenmerk gezielt auf die im Nationalsozialismus verwendete Sprache gelegt, die von Beginn an als ein nationalsozialistisches Instrument der Gleichschaltung – ein zentraler Begriff dieser Ideologie – angesehen werden kann:

„Worte können sein wie winzige Arsendosen; sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu haben, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

Aus: Victor Klemperer (1947): Die Sprache des Dritten Reiches. Beobachtungen und Reflexionen aus LTI

Neben dem manipulierenden Sprachgebrauch weisen Ötsch und Horaczek aber auch auf die Strukturen einer sektenähnlichen und autoritären Organisation mit deren Merkmalen hin. Wie sich darin die Fäden der Macht mehr und mehr verdichten und in den Händen weniger und am Ende bei nur einer Person verbleiben. Sehr konkrete Beispiele aus dem politischen Leben der letzten Jahre zeigen das Gebaren von rechtspopulistischen Akteurinnen und Akteuren und sensibilisieren für die „Dunkle Seite der Empathie“, die willentlich Fakten verdreht, falsche Behauptungen aufstellt, verleumdet, lügt und manipuliert. Alles mit dem Ziel, eine Eskalation herbeizuführen und die Demokratie zu destabilisieren oder auszuhebeln.

Das letzte Kapitel ist dem Widerstand gegen die verbalen Verführungen oder Attacken gewidmet: Hier gibt es Verhaltenshinweise und Kommunikationshilfen, die einen Weg aufzeigen, sich nicht mundtot machen zu lassen oder in die inhaltliche Rechtfertigung zu geraten.

Fazit:

Ein Blick hinter die Kulissen von medienwirksamer und politischer Demagogie, die vor allem dem Zwecke dient, Menschen zu verunsichern und zu verführen. Eine hilfreiche Lektüre, um die Mechanismen von Populismus und insbesondere Rechtspopulismus zu verstehen. Darüber hinaus eine Anleitung für alle Gegner von Rechtspopulismus, wie sie ihre persönliche Ohnmacht überwinden und sich aus dem Schatten wagen können.

Populismus für Anfänger – Anleitung zur Volksverführung

ist 2017 und 2022 als Taschenbuch im Westend Verlag erschienen (Klappenbroschur, 256 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-3-86489-909-6).

Zu den Autoren:

Nina Horaczek ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet seit dem Jahr 2000 bei der Wiener Wochenzeitung Falter, aktuell als Chefreporterin. Horaczek widmet sich intensiv den Themen Rechtsextremismus und soziale Gerechtigkeit und ist Autorin mehrerer Sachbücher.

Walter Ötsch ist Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. Er forscht zur Geschichte des ökonomischen Denkens und zur Wirkungsgeschichte des Neoliberalismus. Er ist Kommunikationstrainer und gefragter Experte für Rechtspopulismus sowie Autor verschiedenster Sachbücher.

Verfasserin des Beitrags:

Beatrix Sieben, ISSO-Institut, Koblenz

Passend dazu der ISSO Blog Beitrag „Buchrezension: Die Sprache des Dritten Reiches. Beobachtungen und Reflexionen aus LTI“ vom 27.01.2024

Sowie ISSO Blog Beitrag „Buchrezension: Die Kunst des Miteinander-Redens – Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ vom 16.04.2024

ISSO Blog Beitrag: „Empathie als Schlüsselkompetenz für Führungspersönlichkeiten vom 16.06.2024

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