In Zeiten von Shitstorms, Fake News und Hassreden fühlen sich viele Menschen ihrer Gesprächsfähigkeit und der Möglichkeit, mit dem Gegenüber in einen Dialog zu treten, beraubt – oder der gute Wille dazu ist ihnen aufgrund der abstoßenden Inhalte abhandengekommen. Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit und wirft Zweifel auf, ob und auf welchem Niveau Gesprächsangebote und Dialoge überhaupt noch möglich bleiben. In dieser misslichen Lage erscheint jede Art von Unterstützung und Hilfestellung wünschenswert. Denn es stehen große Fragen im Raum, auf die es keine einfachen Antworten gibt – und wer so tut, als sei es anders, nimmt bewusst in Kauf, andere zu täuschen. Was also tun? Wie gelingt weiterhin ein Dialog, der die Grundlage von Demokratie und Meinungsvielfalt darstellt?
Die Autoren des Buches „Die Kunst des Miteinander-Redens – Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ sind erfahrene Kommunikationsexperten: Bernhard Pörksen hat den Lehrstuhl für Medienwissenschaft der Universität Tübingen inne und beschäftigt sich u.a. mit Skandal- und Krisenkommunikation sowie mit den Folgen der Digitalisierung und Vernetzung für Kommunikation und Medien. Im vorliegenden Buch übernimmt er meist die Rolle des Interviewenden, stellt Fragen und lenkt das Gespräch. Friedemann Schulz von Thun ist Kommunikationswissenschaftler und emeritierter Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Hamburg. Sein in den 1970er-Jahren entwickeltes Vier-Seiten-Modell (Vier-Ohren-Modell) der Kommunikation wird bis heute in Schulen und Universitäten gelehrt. Er gibt meist Antworten, bietet aber darüber hinaus weitere Fragen an, wodurch sich eine wechselnde Rollenverteilung und ein abwechslungsreiches Gespräch ergeben.
Beide Autoren laden dazu ein, den „Wahrheitsdisput“ zu überwinden, und folgen den Gedanken des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) und der Philosophin Hannah Arendt (1906–1975), dass es eine Wahrheit nur zu zweien gibt. Es braucht also den Dialog. Und es gilt, um jedes Verstehen zu ringen, statt in eine dialogferne Rechthaberei abzudriften.
„Nicht die Widerlegung ist das erste Ziel des Miteinander-Redens, sondern das Erkennen des Anderen in seiner Andersartigkeit, vielleicht auch Fremdheit.“ (S. 21)
Dynamik der Polarisierung
Technische Faktoren oder Algorithmen in den sozialen Medien, die den Zugang zu Informationen bestimmen und unsere Meinungen einseitig bestärken, z.B. durch Filterblasen, erschweren einen konstruktiven Austausch. Die Dynamik der Polarisierung führt aus Sicht der beiden Kommunikationsspezialisten zu fehlerhaften und einseitigen Annahmen. Wir folgen damit stets einem menschlichen Sicherheitsbedürfnis und suchen auch in der Kommunikation mit anderen Menschen die Bestätigung unseres eigenen Denkens. Dies lässt sich kognitionspsychologisch erklären, z.B. als confirmation bias, zu Deutsch etwa „Bestätigungstendenz“. Hinter diesem Fachausdruck verbirgt sich unsere Neigung, Informationen den eigenen Annahmen gemäß auszuwählen und ggf. verzerrt wiederzugeben, damit sie das eigene Denken (und das eigene Sicherheitsbedürfnis) nicht infrage stellen. Geprägt von unseren eigenen Vorurteilen, gehen dann Offenheit und Neugier verloren und Ängste werden bewusst geschürt, damit die Standpunkte unvereinbar erscheinen.
„Die Vernetzung der Welt begünstigt die Bewusstseinslage eines fragilen Fundamentalismus.“ (S. 25)
Diskussionsbereitschaft statt Rechthaberei
Eine wesentliche These des Buches bezieht sich auf die persönliche Haltung und geht über die Methodik hinaus, die sich hinter dem Titel „Die Kunst des Miteinander-Redens“ verbirgt. Wer konstruktiv mit anderen sprechen möchte, braucht eine positive und empathische Grundhaltung anderen Menschen gegenüber – etwa entsprechend der Grundannahme der Transaktionsanalyse nach Eric Berne (1910–1970): „Ich bin okay. Du bist okay.“ Ohne eine wertschätzende Einstellung zum Gegenüber kommt kein Dialog zustande. Stattdessen geht es ums Rechthaben und die andere Person wird attackiert und abgewertet. Dadurch verhärten sich die Fronten und schnell wird aus einer Meinungsverschiedenheit ein messerscharfer Disput. Die Eskalation ist dabei meist vorprogrammiert und wird durch Verzerrungen und Generalisierungen in der Sprache angeheizt. An konkreten Beispielen analysieren die Autoren, wann Diskussionen ins „Unkonstruktive“ abgleiten – und scheitern.
„Du sollst nicht vorschnell generalisieren.“ (S. 24)
Das Buch beschäftigt sich mit ganz aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen: Sollten wir mit Querdenker-Demonstrierenden und mit AfD-Wählenden sprechen? Bringt das überhaupt etwas? Um andere Auffassungen zu verstehen, braucht es Empathie und die Bereitschaft, den anderen verstehen zu wollen. Verstehen und Verständnis sind dabei noch lange kein Einverständnis. Diese Unterscheidung ist beiden Autoren wichtig, denn es gibt Situationen – gerade auch im politischen Umfeld –, da gilt es, deutliche Grenzen zu setzen und sich nicht (antidemokratisch) vereinnahmen zu lassen. Da, wo Propaganda zum Zwecke der Manipulation eingesetzt wird, und dort, wo der „Wahrheitszweifel immer nur für die andere Seite gilt, den Gegner, den Feind …“ (S. 179), ist alle Vorsicht geboten.
Wie uns der Klappentext verrät, analysieren die Autoren den kommunikativen Klimawandel und entwerfen eine Ethik des Miteinander-Redens, die Empathie und Wertschätzung der Redenden untereinander mit der Bereitschaft zum Streit und zur klärenden Konfrontation verbindet. Dies scheint gelungen. Viele praktische Beispiele lassen sich auf vergleichbare Situationen übertragen und machen Mut, neue kommunikative Ansätze auszuprobieren.
Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun
Die Kunst des Miteinander-Redens
Über den Dialog in Gesellschaft und Politik
Verlag: Hanser, München 2020
Gebundene Ausgabe, Hardcover, 224 Seiten
ISBN: 978-3-446-265905 | Preis: 20,00 €
Verlag: Goldmann, München 2021
Taschenbuch, Broschur, 224 Seiten
ISBN: 978-3-442-17918-3 Preis: 11,00 €