Wie kann es uns gelingen, unsere Gesellschaft als Gemeinschaft zu denken und verbunden zu handeln? Die Autorin Hadija Haruna-Oelker, Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Moderatorin, ist davon überzeugt, dass wir voneinander lernen können, wenn wir einander zuhören und uns auf die Geschichten und Erlebnisse anderer einlassen wollen. In ihrem Buch „Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders reden“ erzählt sie ihre ganz persönliche Geschichte und verbindet diese mit gesellschaftspolitischen Rahmungen. Sie denkt laut nach, was ist, was war und was sein könnte. Sie erzählt von ihrer Wahrnehmung von Differenzen, von ihrer Suche nach kulturellen Wurzeln, von ihren Erfahrungen mit Verbündetsein und Empowerment. Sie blickt in die Zukunft und denkt voraus, beschreibt eine mögliche und erstrebenswerte Entwicklung, die vor allem von jungen Menschen vorangetragen wird, die das alte Schema von Schwarz und Weiß überwunden haben oder überwinden wollen.
Was wollen wir jetzt oder spätestens morgen anders machen, als wir es gewöhnlich tun, um unser Miteinander gleichberechtigter zu gestalten? Haruna-Oelker beschäftigt sich seit den 2000er-Jahren mit Rassismus und Intersektionalität, also der Frage wie sich unterschiedliche Diskriminierungsformen in einem Menschen überschneiden und gleichzeitig wirken können (siehe zum Beispiel den Beitrag zur Veranstaltung vom 08.05.)
Ein hochaktuelles Buch, das drängende gesellschaftspolitische Fragen stellt und Visionen davon entwickelt, wie wir Kultiviertes aufgeben, Gelerntes verlernen und uns für ein neues Miteinander-anders-Denken entscheiden können: indem wir uns mit Offenheit Räume für ein respektvolles Miteinander gestalten, Sprache reflektiert nutzen und in allem der „Schönheit der Differenz“ begegnen und erfahren, was uns bisher unbekannt war.
Als Tochter eines ghanaischen Vaters und einer deutschen Mutter wächst Haruna-Oelker in den 1990er-Jahren in Frankfurt auf. Erst die Rückmeldungen aus der Umwelt weisen sie darauf hin, dass sie anders ist, anders gesehen wird. Als Menschen vergleichen wir immer und ständig, weil es uns das Leben vereinfacht oder unsere Energien schont. Erst die Bewertung oder die Abwertungen machen dieses Vergleichen zum Problem. Diese Wertungen gilt es erst aufzudecken und dann als Abwertungen zu enttarnen. So sieht es auch die Autorin, die mit ihrem Buch ein Plädoyer für die „Schönheit der Differenz“ hält, die uns erst dann erreichen kann, wenn wir aus dem so vertrauten sozialen Dominanzdenken für immer aussteigen. Dafür braucht es eine Reflexion über die alltäglichen Sprachhandlungen, die unser Denken bestimmen. Das Heraustreten aus der Enge und der Begrenztheit der Sprache ermöglicht ein neues Nachdenken und bietet einen größeren Gestaltungsraum. Für ein verändertes Miteinander braucht es Orte: Sprache lässt sich als ein solcher Ort ansehen.
„Veränderung ist ein stetiger Prozess, und so sollten wir das Eigene nicht aufgeben, aber Neues oder anderes zulassen.“ (S. 31) – Menschenwürde und Menschenrechte gestalten dann vielleicht die neue Rahmung.
In den zehn Kapiteln ihres Buches macht sich Haruna-Oelker auf die Suche nach den Mustern und Auswirkungen von Diskriminierung, betrachtet die Geschehnisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln und lässt andere Menschen zu Wort kommen, die über ihre eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus berichten. Eine besondere Betrachtung erfährt dabei auch die erlebte Sprachlosigkeit – die vor allem dann eintritt, wenn Ereignisse und Erlebnisse Menschen in ein überwältigendes Gefühlschaos stürzen. Filme über Sklaverei und Begegnungen mit Aktivistinnen aus der Schwarzen Bewegung prägten und bestätigten die Autorin darin, als Journalistin ihre öffentliche Position zu nutzen und einem neuen Sprachgebrauch durch ihre eigene, selbst gewählte Sprache Ausdruck zu verleihen.
Neben ihren Erfahrungen als von Rassismus betroffene schwarze Frau sensibilisiert Haruna-Oelker auch für die verschiedenen Nuancen von Diskriminierung: Für Schwarze verstärkt sich die Diskriminierung, je weiter sie sich vom europäischen oder westlichen Weißsein entfernen.
„Nicht alle Schwarzen Menschen erleben den Anti-Schwarzen Rassismus gleich, aber alle erleben ihn.“ (S. 66)
Sie verwehrt sich gegen das Light-skinned-Privileg, das für sie vorteilhaft ausfällt, da sie dem Weißen näher ist durch eine Mutter mit weißer Hautfarbe. „Hautfarbe ist kein Accessoire, welches zu- oder abgelegt werden kann“, so die Autorin und deklariert „deshalb den Begriff ,Schwarzʻ als eine politische Kategorie“ (S. 67).
Haruna-Oelker lässt die Lesenden teilhaben an ihrem eigenen Schmerz: Sie beschreibt Momente von Angst, Wut, Überforderung und Kontrollverlust. Sie greift rassistisch motivierte Anschläge auf, berichtet über ihr eigenes Empfinden und weist auf die Berichterstattung und ihren persönlichen Umgang mit den Geschehnissen hin. Im Wahrnehmen und Anerkennen von Gefühlen sieht sie eine Möglichkeit, die eigene Neugier zu aktivieren und über diesen Weg zusätzliches Wissen zu generieren. Haruna-Oelker spricht von einem Dreiklang zwischen Emotionen, Neugier und Kenntnis und sieht darin auch einen Zugang zu unserer Wissensfähigkeit. Das erkennt sie als eine Bewusstseinshaltung, man könnte es auch Achtsamkeit nennen. Wieder spielt dabei die Sprache eine Rolle, denn wer über Gefühle sprechen will, braucht auch hierfür angemessene Worte. Worte, die neben dem Schmerz, der Ungerechtigkeit und dem Verlust immer wieder das Verbindende herausstellen. Die „Schönheit der Differenz“ kann sich nur dort entfalten, wo wir das Trennende und das Verbindende benennen können und uns auch nicht scheuen, dies zu tun.
„Ich glaube, wir täten gut daran, Emotionen mit mehr Selbstverständlichkeit nach außen zu tragen und zu zeigen, dass das nichts mit Schwäche zu tun hat oder damit, dass wir machtlos werden.“ (S. 313)
Fazit: Hadija Haruna-Oelker hat sich das Ziel gesetzt, die Rassismus-Debatte in Deutschland anzukurbeln und das Thema in eine andere Richtung zu manövrieren. Sie weist auf die Verletzlichkeit von Identitäten hin, zeigt auf, dass Lebensentwürfe veränderbar sind, und ermutigt uns alle, bisher gelernte Stereotype über den Haufen zu werfen. Sie wendet sich dabei an aufgeschlossene, liberale und demokratische Mitbürger*innen und lädt dazu ein, über die eigenen soziokulturellen Prägungen nachzudenken und dabei den alltäglichen Sprachgebrauch als Ausdruck des eigenen Denkens kritisch zu reflektieren. Ihren eigenen Anspruch versucht die Autorin in ihrem Buch zu integrieren: Sie beobachtet scharf und beschreibt behutsam. In diesem Sinne geht sie selbst glaubwürdig, nicht belehrend, einen ersten Schritt voran. Das imponiert.
Mögen ihr alle (oder zumindest viele) folgen!
Buchrezension: Beatrix Sieben (2024)
Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken ist am 14.03.2022 im btb Verlag in gebundener Form (ISBN-Nr. 978-3-442-75946-0, 560 Seiten, 24 €) und am 12.04.2023 in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH als Taschenbuchausgabe erschienen (ISBN-Nr. 978-3-442-77333-6, 560 Seiten, 14 €).
Hadija Haruna-Oelker lebt und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich ist sie für den Hessischen Rundfunk tätig. Sie moderiert die Römerberggespräche in Frankfurt, das Debattenformat „StreitBar“ in der Bildungsstätte Anne Frank und die feministische Presserunde der Heinrich-Böll-Stiftung. In der Frankfurter Rundschau schreibt sie eine monatliche Kolumne. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales sowie Rassismus- und Diversitätsforschung. Hadija Haruna-Oelker ist Preisträgerin verschiedener Medienpreise wie dem ARD-Hörfunkpreis Kurt Magnus 2015 oder dem Medienspiegel-Sonderpreis für transparenten Journalismus 2021. Darüber hinaus ist sie Teil des Journalist*innenverbandes Neue Deutsche Medienmacher*innen (NDM) und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).
Das hier besprochene Buch „Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken“ war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Weitere Informationen:
„Über Rassismus reden: Wer spricht wie und wem wird zugehört?“
ISSO-Blog-Beitrag vom 17. Mai 2024
YouTube Video der ISSO-Veranstaltung vom 8. Mai 2024 in Koblenz oder Ausschnitte der Lesung in folgendem Video: