Ein Besuch im Alentejo

In unseren Breiten gibt es zwar Zeiten von Trockenheit, Obstbau und Landwirtschaft haben Sorgen, aber so richtig vorstellen können wir uns die dramatische Situation dauerhaft ausbleibender Niederschläge nicht. Noch weniger, was mit dem Boden passiert, wenn aller Bewuchs verkümmert und schließlich ganz verschwindet. Wüste? Doch nicht bei uns!

Näher dran sind da beispielsweise schon die Obstbauern im Südtiroler Vinschgau, einer Region, aus der wir seit langer Zeit die Äpfel beziehen. Dort wird seit Jahrhunderten mit Kanälen bewässert, was aufgrund der geringer werdenden Verfügbarkeit von Gletscherwasser aber immer weniger funktioniert. Allmählich kommt man zu der Überzeugung, dass Flächen renaturiert werden müssen, um beispielsweise bei häufigerem Starkregen das Wasser in der Landschaft zu halten.

Während das Schädigen von Umwelt und Natur mit dem Expansionsstreben des Menschen automatisch kam, muss der Versuch, wörtlich genommen etwas an Boden wieder gut zu machen, mühsam neu entwickelt werden. Das Wissen und die Praktiken stehen immer noch vergleichsweise am Anfang. Allmählich verbreitet sich der Gedanke der „regenerativen Landwirtschaft“, und überall in Europa und weltweit entstehen Projekte und Versuchsanlagen.

Foto: Martin Görlitz

Semi-arid: Klingt besser, als es ist.

Eine besonders gezeichnete Region ist der Süden von Spanien und Portugal. Bereits von den Römern wurden die früher einmal dichten Wälder abgeholzt und als Konstruktionsholz für den Schiffbau, Bergbau oder zur Herstellung von Holzkohle verwendet. An Wiederaufforstung hat man damals nicht gedacht. Über Jahrhunderte haben Klima und degenerative Landnutzung, anhaltende Boden- und Vegetationsdegradation und zunehmende Trockenheit dafür gesorgt, dass sich diese Regionen heute deutlich auf dem Weg zur Desertifikation befinden.

Wenn der Boden nicht mehr lebt, ist das etwas ganz Anderes als „nur“ das Fehlen von Wasser. Kann man hier noch Gegenmaßnahmen ergreifen, um nicht in einer irreversiblen Wüstenbildung zu enden? Ja, man kann. Das zeigt ein Projekt im Süden des Alentejo, dass die Martin Görlitz Stiftung seit längerem unterstützt [1]: Terra Sintrópica. Der Name lehnt sich an den Begriff der Syntropischen Landwirtschaft an, dem Gegenentwurf der Monokultur: Ausgehend von einem Wald als dem vielfältigen Lebensraum gemeinsam agierender Pflanzen sucht man hier nach möglichst ausgewogenen Pflanzengemeinschaften, die sich unterstützen, aber auch Nahrungsmittel produzieren.

Foto: Martin Görlitz

Bodenlabor und Community in einem.

Terra Sintrópica ist vieles zugleich: Ein Forschungslabor, ein realer Nahrungsmittellieferant, eine Pflanzenschule, ein Gemeinschaftsprojekt im Ort Mértola mit einem kleinen Restaurant und gesellschaftlichen Treffpunkt, eine Bildungseinrichtung, um nur die wichtigsten zu nennen. Es ist die Initiative von Menschen im Alentejo, einer der bevölkerungsärmsten Gegenden Europas mit nur 4,6 Einwohnern pro km². Aber was ist hieran besonders, was ist möglicherweise für uns daraus nützlich? Die einfache Antwort: Es ist ein Praxislabor für besonders schwierige Umstände, die sozusagen den worst case einer möglichen Entwicklung auch hierzulande aufzeigen. Anders gesagt: Eine Methodik, die es hier schafft, Boden wieder gut zu machen, schafft es überall.

Das Thema Agroforst oder regenerative Landwirtschaft ist mittlerweile Forschungsgegenstand an vielen Hochschulen, es gehört zum „Umweltingenieurwesen“ und kommt mit Begrifflichkeiten einher wie „Welternährungssysteme“. Auf den Bildern sieht man Baumreihen und Gemüse oder Salat dazwischen, alles sehr ordentlich, gut gemulcht und gewässert, hier ein Beispiel [3]. Die Realität sieht etwas weniger ordentlich aus. Es ist Mitte September, seit mehreren Monaten gab es hier keinen Regen mehr. Alles Wasser muss mit Schlauchsystemen gezielt und sparsam verteilt werden. Große Beregnungssysteme schließen sich aus. António Coelho, der Landwirt im Projekt, begutachtet täglich die Pflanzenreihen und entscheidet, wer heute etwas Wasser bekommt. Computersysteme oder Messtechnik gibt es nicht.

Foto: Martin Görlitz

Pflanzenschule als Basisarbeit

Überhaupt muss man sich von allen Gedanken an industrielle Produktionstechniken verabschieden. Diese Mischung aus Basisforschung und realer Produktion ist dennoch unendlich wertvoll. In einer „Pflanzenschule“ werden mengenweise regionale Bäume gezogen, und die besten Pflanzen werden zu Baumreihen, die den Agroforst auf dem 3,5 Hektar großen Versuchsgelände ständig erweitern. Das Gelände wird zudem terrassiert nach der „keyline design“ genannten Idee, Regenwasser entlang der Höhenlinien bestmöglich im Boden zu halten.

Wie es hier einmal ausgesehen haben mag, sehen wir an einer alten Göpelanlage, wo früher Esel im Kreis liefen und Wasser aus einem etwa 15 Meter tiefen Brunnen gefördert haben. Heute liegt das Grundwasser hundert Meter tiefer.

Wie geht es weiter?

Die praktische Forschungsarbeit ist umfassend: Pflanzengemeinschaften entwickeln, Mulchverfahren mit allen möglichen Materialien von Stroh bis zu regionaler Schafwolle, Anlagen zur Kompostierung, die in dem extrem trockenen Klima überhaupt funktionieren, nicht vergleichbar mit unseren Haufen und ihren vielen Regenwürmern.

Foto: Martin Görlitz

Obwohl diese Arbeit quasi überlebensnotwendig ist, den direkten Wettbewerb zu einer konventionellen, auf große Monokulturen ausgelegten Landwirtschaft kann man damit nicht antreten. Die Erträge aus dem Verkauf von Obst und Gemüse decken diese Arbeit nur teilweise, es braucht Fördergelder und Unterstützer. Wie also lassen sich das Wissen und die Methoden, die hier entstehen, übertragen auf eine immer noch zerstörerische Landwirtschaft mit ihren industriellen Methoden? Wie lassen sich Landwirte und Agrarökonomen überzeugen, die weiterhin glauben, mit mehr Technik, Pestiziden und gentechnisch veränderten Pflanzen lasse sich das alles lösen, wenn auch der Boden dabei untergeht?

Dieser Antwort widmet sich der Terra Sintrópica Entwicklungsplan für die kommenden fünf Jahre. Der Wunschtraum ist es, ein größeres Gelände zu bewirtschaften und nach den möglichen Verbindungsstellen zwischen herkömmlichen und regenerativen Methoden zu suchen. Damit soll ein weiteres Modellprojekt entstehen, wo das (im besten Sinne) „Krautige“ des heutigen Gartens übergeht in eine größere Skalierung, die den Landwirten der Region auch für sie umsetzbare Alternativen aufzeigt. Das große Ziel über alles ist: Boden wieder gut machen.

Dass dieses Ziel richtig ist und unausweichlich, hat die EU mit dem Nature Restauration Law vor einem Jahr in ein Gesetz gefasst [4]. Von den deutschen Abgeordneten stimmten übrigens, siehe den Wikipedia-Beitrag, fast die Hälfte dagegen. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen hat also keinesfalls nur einstimmige Befürworter. Wer sich weiter über die EU-Gesetzgebung und ihre Argumente informieren möchte, findet dazu viele Quellen, beispielsweise vom NABU [5]. Die gute Nachricht ist: Die Natur möchte gerne mithelfen. Sie unterstützt das Gesetz und jede kleine Arbeit, die Boden wieder gutmacht, auch im eigenen Garten.

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[1]  Siehe auch den früheren Beitrag: https://isso.de/blog/2022/01/22/warum-ich-diese-initiative-unterstuetze/

[2]  Terra Sintrópica – https://terrasintropica.com/de/

[3]  https://blog.zhaw.ch/eat-grow-change/2023/08/16/bodenregeneration-durch-syntropischen-agroforst/

[4]  https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_%C3%BCber_die_Wiederherstellung_der_Natur

[5]  https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/naturschutz/europa/33254.html

Foto: Martin Görlitz

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