Seit fünfzig Jahren verpflichtet sich die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ zu humanitären Hilfeleistungen in Krisen- und Kriegsgebieten. Tankred Stöbe ist Vater von zwei kleinen Kindern und einer von diesen Ärzten, der inzwischen auf seinen dreißigsten Einsatz weltweit zurückblickt. Er war an vielen Auslandseinsatzorten, auch in Bürgerkriegsgebieten und in der Ukraine. Im Gazastreifen war er seit dem Terrorangriff der Hamas nicht mehr.

Foto: Tankred Stöbe in der Koblenzer Citykirche (Beatrix Sieben, ISSO)

Gaza gilt aktuell bei allen Hilfsorganisationen als der gefährlichste Einsatzort weltweit, es gibt dort bereits dreizehn Tote aus dem Team von Ärzte ohne Grenzen zu verzeichnen. Die Sicherheitsbedingungen für Einsatzkräfte oder humanitäre Helfende im Gazastreifen sind keinesfalls stabil, auch wenn diese immer besonderen Schutz erhalten, egal wie die Situation vor Ort ist. Trotz vieler Angriffe auf Krankenhäuser in der Ukraine ist dort bisher zum Glück noch kein Teammitglied von Ärzte ohne Grenzen zu Tode gekommen.

Pro Jahr plant Tankred Stöbe einen Aufenthalt von bis zu vier Wochen. Für diese Einsätze verwendet er meist eigene Urlaubstage. Dies entspricht seiner Vorstellung von Menschlichkeit, die egal in welcher Konflikt- oder Krisensituation eine übergeordnete Rolle spielen sollte. Seine Berufung als Arzt geht einher mit seiner Entscheidung, sich in den Dienst der Menschen zu stellen und Menschenleben zu retten. Diesen Pragmatismus erlebt er mit seinen Kolleginnen und Kollegen auch vor Ort, wo sie sich immer wieder aufs Neue als internationale Teams zusammenfinden.

In der Koblenzer Citykirche beantwortete Stöbe am 1. Oktober 2025 anlässlich einer Kooperationsveranstaltung unter anderem mit der Ärztekammer Koblenz und dem ISSO-Institut Fragen zu seinen vergangenen Einsätzen, las einige Passagen aus seinem Buch „Mut und Menschlichkeit. Als Arzt weltweit in Grenzsituationen“ (im Frühjahr als Taschenbuch erschienen) und gab einen Überblick über erlebte Extremsituationen, die ihn vor schwierige Fragen und Entscheidungen gestellt haben. Nicht selten ging es dabei um Leben und Tod.

Wie viel Mut braucht es, um solche Gefahren in Kauf zu nehmen? Dieser möglichen Frage aus dem Publikum kam Stöbe zuvor, indem er Rilke zitierte:

„Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muss darin möglich sein.“

Im Folgenden wurden die Teilnehmenden der Veranstaltung aber selbst einbezogen, um seine Abwägungen nachzuvollziehen. Wurden motiviert, sich darüber zu äußern, wie sie selbst entschieden hätten. Erlebten das Dilemma der Situation durch die Beschreibungen der Umstände, die ihnen Stöbe aufzeigte. Zehn Fälle wurden aufgezeigt, analysiert und diskutiert. Keine Alltagssituationen, die er als Klinikarzt in Berlin-Moabit tagtäglich antrifft. Die Veranstaltung machte deutlich, welcher Art die Grenzsituationen sind, bei denen es keine Zeit zu verlieren gilt, bei denen auch andere Leben in Gefahr sind.

„Es lebt sich intensiver, wenn jeder Tag der letzte sein könnte.“ – eine bemerkenswerte und auch eine nützliche Aussage für einen Arzt ohne Grenzen. Stöbe ist gerne Arzt, er hat sich etwas Optimistisches und auch etwas Jugendliches bewahrt. Er wirkt keinesfalls belehrend oder überheblich. Vielmehr wirkt er wie ein freier Mensch, der sich entschieden hat, das zu tun, was er für richtig hält.

Seine letzte Dilemma-Frage, die er an das Publikum stellte, war: „Soll Stöbe weitermachen, obwohl er Familie und zwei kleine Kinder hat?“ Ja, das solle er, sagten (oder dachten) viele oder sogar die meisten der Anwesenden. Es war in gewisser Weise eine Fake-Frage, die er sich bereits selbst beantwortet hatte. Und das ist auch gut so, sonst würde er sich wohl selbst verraten – und das wäre keine Alternative.

Zur Person:

Tankred Cornelius Stöbe, geboren am1. Februar 1969 in Nürnberg, ist ein deutscher Internist, Rettungsmediziner und Buchautor. Von 2015 bis 2018 war er Mitglied des internationalen Vorstandes von Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen), von 2007 bis 2015 stand er als Präsident der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen vor.

Die Bundesärztekammer zeichnete 2016 mit Stöbe „im Namen der deutschen Ärzteschaft einen Mediziner für seine ärztliche Haltung und seine unerschütterliche Einsatzbereitschaft“ mit der Paracelsus-Medaille aus, ihrer höchsten Auszeichnung. Er habe „weltweit zahllose Menschenleben gerettet und sich damit national und international auch um das Ansehen der deutschen Ärzteschaft in hervorragender Weise verdient gemacht“.

Im Jahr 2021 wurde Tankred Stöbe das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

Zum Taschenbuch:

Stöbe, Tankred: Mut und Menschlichkeit. Als Arzt weltweit in Grenzsituationen. FISCHER Taschenbuch Verlag 2025. 192 Seiten. ISBN: 978-3-596-37096-2. 17,00 Euro. Als E-Book bereits 2019 erschienen: ISBN: 978-3-10-491052-9. 12,99 Euro.

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