Die Verbreitung von Hass und Hetze in den Medien, im Plenarsaal und auf der Straße nimmt zu. Kommentare und Meinungen enthalten Schmähungen, Beleidigungen und Drohungen. Der Ton wird rauer. Doch eine Demokratie braucht die Auseinandersetzung und die Meinungsvielfalt. Das ISSO-Institut beschäftigt sich seit 2020 mit der Überlegung, was unsere Demokratie zusammenhält. Auf der Basis von neurowissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen ordnet sich Empathie dabei als eine Art „Klebstoff“ für ein gelingendes Miteinander ein. Eine Fähigkeit, die uns Menschen ermöglicht, uns in andere Menschen und deren Lebenswelten einzufühlen. Fehlende Empathie ist dagegen ein Indikator dafür, dass sich Menschen leichter radikalisieren (lassen). Aber hilft Empathie, wenn auf der anderen Seite die Emotionen und die Haltungen immer extremer werden?

Bild: canva.com

Woher kommt der Hass? Was genau ist Hass, und was macht ihn so besonders?

Der nachfolgende Text beinhaltet teils verkürzte oder zusammengefasste Auszüge aus dem Kapitel „Zorn und Hass“ (S. 195–205) aus dem Buch „Die Logik der Gefühle. Kritik der emotionalen Intelligenz“. Der Autor und Philosoph, Professor Aaron Ben-Zeʼev, gilt als einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Emotionsforschung.

Jemanden zu hassen, heißt, von seiner bloßen Existenz irritiert zu sein.

Das einzige, was Befriedigung brächte, wäre sein völliges Verschwinden.

José Ortega y Gasset

Im Vergleich zu Zorn, der sich meist auf einen konkreten Anlass bezieht, gilt der Hass als eine globale negative Haltung, die sich auf eine Person bezieht, die man grundlegend für böse hält. Dem Objekt werden gefährliche Eigenschaften zugeschrieben. Anders als beim Zorn, der als Sofortreaktion gilt. Hass ist allgemeiner. Er kann sich auf eher potenzielle und unpersönliche Umstände beziehen. Die Person oder die Personengruppe, gegen die sich der Hass richtet, wird als schädigend für sich selbst oder für eine andere Gruppe oder für die ganze Gesellschaft eingestuft. Hass manifestiert sich als lang andauernde Haltung. Hass nährt sich wie das Vorurteil von einzelnen oder verzerrten Informationen, die mit der wirklichen Persönlichkeit nichts zu tun haben.

Um den Hass mit starken Emotionen weiter anzureichern, werden Ideale geschaffen, welche als Grundlage (Rechtfertigung) eines berechtigten Hasses herangezogen werden. Negative Aspekte werden als so fundamental erlebt, dass andere Eigenschaften vollständig überlagert werden. Es findet eine uneingeschränkte Abwertung statt. Die Intensität des Hasses ist komplex und schwer beschreibbar. Er geht einher mit aggressivem Verhalten. Er kann Handlungen auslösen, die „kaltblütig“ ausgeführt werden. Hass kann intensiv sein, schwächt sich aber in Momenten dadurch ab, dass sich die Intensität über eine längere Zeit erstreckt. Die Nazis haben bewiesen, dass man aus Hass töten kann, ohne intensive Gefühle zu haben.

Hass verfolgt das Ziel, die Situation so zu verändern, dass die andere Person gemieden, ausgeschlossen oder vernichtet wird. Die negativ zugeordneten Eigenschaften führen zu einer dauerhaften Ablehnung. Deshalb richtet sich der Hass oft gegen Gruppen, ohne auf die persönlichen Unterschiede zwischen deren Mitgliedern Rücksicht zu nehmen.

In extremen Fällen von Hass sucht dieser sich einen Weg zur Reduktion von Spannungen, z.B. über verbale Aggression. Ein interessantes Beispiel der verbalen Aggression sind politische Hassbriefe. Mit der Zielsetzung der physischen Beseitigung enthalten die Briefe oft direkte Drohungen.

Zorn und Hass werden oft moralisch kritisiert. Zorn ist aus moralischer Sicht aus mehreren Gründen akzeptabler. Erstens beschränkt sich die Negation anderer Menschen beim Zorn auf bestimmte, ungerechtfertigte Handlungen; es handelt sich nicht um eine umfassende, gegen die ganze Persönlichkeit des anderen gerichtete Negation wie beim Hass. Deshalb wird Vergebung eher mit Zorn als mit Hass assoziiert. Zweitens hat der Zorn seine Berechtigung, denn oft wird er als eine Reaktion auf Ungerechtigkeit verstanden. In diesem Sinne scheint der Zorn manchmal eine angemessene Reaktion zu sein, die man sich nicht nehmen lassen sollte. Drittens hat der Zorn einen höheren funktionalen Wert als der Hass. Letzterer ist eine weniger angemessene Reaktion mit weniger nützlichen Ergebnissen. Viertens beruht der Zorn wegen seiner spontanen Natur weniger auf intellektuellen Erwägungen und ist schwerer zu kontrollieren. Daher wird nur der Zorn, nicht aber der Hass bei kriminellem Verhalten vor Gericht als mildernder Umstand akzeptiert.

Die eröffnende Frage im oberen Textabschnitt: „Aber hilft Empathie, wenn auf der anderen Seite die Emotionen und die Haltungen immer extremer werden?“ nötigt zu der Feststellung, dass es mit einem „empathischen Einfühlen“ in eine hassende Person nicht getan sein wird. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass jegliche Offenheit für eine andere Perspektive verloren gegangen ist. Mit Empathie lässt sich Hass nicht auflösen. Empathie ist dafür nötig und nützlich, dass Menschen mehr Verständnis für einander aufbringen und weniger Vorurteile oder Schuldzuweisungen zum Selbstschutz nötig haben. Empathie kann den Hass nicht verhindern, wenn er von starken Kräften geschürt und ideologisch manifestiert wird. Empathie braucht es eher, um sich als Teil einer vielfältigen Welt dennoch sicher und geborgen zu fühlen. Damit der Hass keine Grundlage findet.

Text: Beatrix Sieben

[Zitiert aus der 4. Auflage von 2020]

Zum Autor:

Aaron Ben-Ze’ev, geboren 1949, Professor für Philosophie und Ökonomie war Präsident der Universität in Haifa 2004-2012. Er gilt als einer der weltweit führenden Experten in der Emotionsforschung und vielseitig Bücher zum Thema verfasst.

Zum Buch:

Aaron Ben-Zeʼev: Die Logik der Gefühle. Kritik der emotionalen Intelligenz. Suhrkamp 2024. 5. Auflage. Broschur, 341 Seiten. ISBN-Nr. 978-3-518-26024-1. 20,00 Euro.

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