In diesem aktuellen deutschen Kinofilm beschreibt die Filmemacherin Mascha Schilinski das Leben von vier Mädchen und Frauen über verschiedene Generationen hinweg. Die Lokalität: ein altmärkischer Vierkanthof aus der Jahrhundertwende. Der Erinnerungsstrom wird einerseits durch die erzählenden Mädchen, andererseits durch viele Zeitsprünge entwickelt. Mit dem Blick auf die vergehenden hundert Jahre zeigt die Filmemacherin, dass Gefühle, Zustände und Gegebenheiten vergleichbar bleiben. Die teilweise verschwimmenden Grenzen weisen immer wieder darauf hin, dass sich Verlust-, Trauer- oder Ohnmachtsgefühle nicht einfach auflösen. Sie wandeln durch die Zeiten und von Generation zu Generation.
Schilinski erzählt die Geschichten mit der Kamera, sie wählt sehr intensive Aufnahmen. Frauenporträts oder Mädchenaugen blicken einen an und fordern eine immense Aufmerksamkeit. Eine Forderung, gegen die man sich kaum zu wehren weiß, selbst wenn die Präsenz des Gezeigten – und Gesehenen! – beinahe zu intensiv wird. Langsame Kameraschwenks und viele Nahaufnahmen führen zu starken Sinneserlebnissen. Die Zuschauenden werden zu Mitwissenden. Es ergeben sich voyeuristische Szenen.
„Stilmittel, die wir aus dem Barock kennen“, nennt es die Kunstpädagogin und Soziologin Astrid Fries. Sie kam in der Gesprächsrunde mit Dr. Christine Eick, Psychotherapeutin aus Lahnstein, sowie den Einladenden Thomas Becker von der Katholischen Erwachsenenbildung und Christina Wolf-Weide vom Odeon Kino über den Film ins Gespräch. „Das Klirren von Geschirr tut beinahe in den Ohren weh, und die surrende Fliege nervt.“ Fries ordnet diese intensiven Geräusche ein, sie berühren, weil wir sie kennen, entweder aus dem aktuellen Leben, aber noch wahrscheinlicher aus unseren Kindheitserinnerungen.
Vieles bleibt unausgesprochen in dem Film: Gefühle werden nicht angesprochen. Die Traurigkeit läuft unterschwellig mit. Manchmal imaginieren die Szenen eine gewisse Todessehnsucht. Wie das harte Leben ist auch der Tod allseits präsent. Als Psychotherapeutin und Traumaexpertin weist Dr. Christine Eick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu transgenerationalen Traumata hin. Von Generation zu Generation werden Folgen von extremen Belastungen auch genetisch weitergegeben. Die Überforderungserscheinungen, die der Körper sendet – wie die Hysterie oder auch der Würgereiz der Mutter von Alma oder Lia aus der ersten Generation –, lassen sich filmisch umsetzen und weisen auf die psychisch hohen Belastungen, die keinen Raum für Verarbeitung erhalten. Wie stark der Druck für die Menschen im Inneren ist, das lässt sich nur erahnen, und darauf weist die Filmemacherin wohl hin.
Die Vermischung zwischen Fiktion und Realität gibt dem meist „schwer“ anmutenden Film an manchen Stellen etwas Leichteres. Nimmt etwas von der Lähmung. Nicht alle Erzählstränge werden aufgelöst. Doch die Ähnlichkeiten von Verlust- und Ohnmachtserfahrungen zwischen den Generationen bleiben erkennbar.
Die Uraufführung des Films fand im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Cannes im Mai 2025 statt, wo er mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Monate später wurde „In die Sonne schauen“ als deutscher Vorschlag für die Kategorie „Bester Internationaler Film“ der Oscarverleihung 2026 ausgewählt. Außerdem erhielt Mascha Schilinski im August bei den HEIMAT EUROPA Filmfestspielen in Simmern im Hunsrück für den Film den EDGAR für den „Besten modernen Heimatfilm“ (Jurorin: Jasmin Tabatabai).
Der Film läuft derzeit noch bis 17.09. im Odeon Kino Koblenz:
„In die Sonne schauen“. Deutschland 2025. 149 Minuten. Regie und Drehbuch: Mascha Schilinski. In den Hauptrollen: Hanna Heckt, Lea Drinda, Lena Urzendowsky, Laeni Geiseler.
https://www.odeon-apollo-kino.de/detail/121768/In%20die%20Sonne%20schauen
Gespräch im Odeon-Apollo-Kinocenter (Foto: Beatrix Sieben, ISSO)