im Alten Bahnhof in Puderbach
Herfried Münkler und Jürgen Hardeck (Foto: Beatrix Sieben ISSO)
Im Gespräch über sein aktuelles Buch „Macht im Umbruch: Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ gibt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler zunächst etwas eher Privates preis: „Ohne Stift kann ich nicht denken.“ Dies mag ein Grund dafür sein, dass von ihm in beinahe jährlichem Abstand ein Buch zur aktuellen gesellschaftspolitischen Lage erscheint. Münkler beschreibt sich als unruhigen Charakter, der sich der politischen Theorie und Ideengeschichte verschrieben hat. Wichtig ist es ihm, die geopolitische Lage bei allen aktuellen politischen Dynamiken und Fragestellungen mitzudenken. Ein Denken, welches in Deutschland – aus seiner Sicht – eher unüblich ist. Das Gespräch mit dem emeritierten Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität führte der rheinland-pfälzische Kulturstaatssekretär Prof. Dr. Jürgen Hardeck.
Weltpolitik im Wandel
„Wer die Weltmeere beherrscht, beherrscht die Welt“, so Münklers Blick auf die Weltpolitik. Er spricht aus, was subtil längst spürbar geworden ist: Das transatlantische Bündnis bröckelt. Mit Obama, so sein Hinweis, begann der Rückzug seines Hüters und die Zerschlagung des Westens. Nicht aus Boshaftigkeit, wie man es jetzt unter Trump vermuten könnte, sondern eher ganz banal, auf Basis von Eigeninteressen. Weil die Kapazitäten einer US-amerikanischen Präsenz und notwendigen Kontrolle nicht für die ganze Welt ausreichen, wurde sich für eine Präsenz durch Kontrolle im Atlantik entschieden und damit verbunden auch über den Panamakanal, Kanada und Grönland.
Europa in der Krise
Foto: Beatrix Sieben, ISSO
Für Europa ergibt sich aus dem Niedergang dieser vertrauten und bewährten (Macht-)Strukturen eine Sandwichposition, eine Mittellage, um die herum Ost und West die aktuellen Machtpositionen einnehmen. Diese Situation erfordert ein europäisches Umdenken. Europa muss sich emanzipieren und legitimieren, um in der Welt eine wahrnehmbare Position und eine hörbare Stimme einzunehmen. Münkler sieht ein notwendiges anderes Europa in einer globalen Ordnung, in der fünf Mächte das Sagen haben werden: „Die USA und die EU auf der Bank der Demokraten, Russland und China auf der Bank der Autoritären. Und weil solche Systeme in der Regel am besten funktionieren, wenn es noch einen Fünften dabei gibt, Indien.“ Diese Weltordnung der Zukunft stellt andere Anforderungen. Europa braucht mehr Entscheidungskraft. Die bisher notwendige Einstimmigkeit bei Abstimmungen in der EU sieht er als überholt an und erhofft sich mehr Durchsetzungswillen und Machermentalität. Diese Faktoren sieht er auch als dringend erforderlich an, um der technokratischen und brutalen Einschüchterungspolitik der Autokraten weltweit etwas entgegenzusetzen.
Die Trumpsche Politik, die sich an dessen Lust und Laune orientiert, beinhaltet wechselhafte und unkalkulierbare Demonstrationen seines Willens. Eine 47. US-Präsidentschaft, die offensichtlich die Demokratie aushebeln will und dies der Öffentlichkeit vorführt. Wenn „der Westen“ zerfällt, gilt es, eine neue politische Machtstruktur zu erfinden, die diesen ebenbürtig ersetzen kann. Kluge Politik ist gefordert und klare Verantwortlichkeiten. Eine neue Erkenntnis darf dabei auch sein, dass sich deutsche und europäische Politikerinnen und Politiker derzeit nicht unter Freunden bewegen. Die Schwäche durch fehlende Führung und die mangelnden Entscheidungsbefugnisse der letzten Jahre machen es nötig, einen Wandel einzuleiten und mit einem zügigen Aufholprozess zu beginnen.
Das Bohren harter Bretter als Selbstverständnis ansehen
Im Gespräch mit dem Publikum wurden Fragen zur Demokratie laut, aber auch, wie sich Deutschland gegenüber der AfD verhalten sollte.
Münkler rekurrierte dazu auf den Ausspruch von Willi Brandt „Demokratie wagen“, betonte aber, dass damals wie heute die Betonung auf dem Wort „wagen“ liege:
- Weniger Tumult der Emotionen.
- Mehr Ausprobieren von gelebter Demokratie.
- Ausprobieren, wie sich auf demokratische Weise mehr Bürgerinnen und Bürger um für sie eigene und wichtige Angelegenheiten kümmern (können).
- Revitalisieren statt verwalten, weniger Amtszwang und erfahrbare Lösungsansätze erarbeiten und etablieren.
Die Demokratie sollte sich insgesamt zeitgemäßer aufstellen.
Ein Verbot der AfD hielt der Politikwissenschaftler für sehr unwahrscheinlich. Die Partei mobilisiert und positioniert sich als eine „Kümmerer-Partei“, was in Zeiten großer Verunsicherung bei vielen Deutschen gut ankommt. Gegenüber ihrer Wählerschaft, der Mischung aus alten und jungen Rechten und unzufriedenen Menschen, sieht Münkler die Chance darin, deren Themen aufzugreifen, soweit sie politisch relevant sind und Antworten und Lösungen fordern.
Angaben zum Buch:
Münkler, Herfried: Macht im Umbruch. Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Berlin: Rowohlt 2025. 432 Seiten. Gebundene Ausgabe: ISBN-Nr. 978-3-7371-0215-5. 30,00 €. E-Book: ISBN-Nr. 978-3-644-02172-3. 24,99 €.