Was uns die Neurowissenschaft über mentale Gesundheit verrät

Die Beschreibung auf dem Buchcover klingt vielversprechend, etwa wie: „Gehirn in Balance, statt Chaos in der Seele“ – so die Überschrift zur Buchvorstellung auf der Verlagshomepage. Die Neurowissenschaftlerin erklärt in ihrem Werk, wie Wohlbefinden im Gehirn entsteht und wie wir es selbst regulieren können.

In Zeiten von vielen sehr unterschiedlichen Katastrophenmeldungen, sei es Klimawandel oder Kriegsbedrohungen, erscheint es wie eine fast notwendige und vor allem Hoffnung spendende Erleichterung, dass wir unser eigenes Wohlbefinden selbst regulieren können.

„Psychische Gesundheit bedeutet nicht, keine negativen Emotionen zu erleben“, so die Wissenschaftlerin, die diese für gesund und normal hält, da dadurch unsere Lernbereitschaft aktiviert wird. Camilla Nord geht es darum, dass wir „am Ende immer zu einer vergleichsweise positiven psychischen Verfassung zurückfinden“. (S. 112)

Ihr wissenschaftliches Labor gehört zur MRC (Medical Research Council) Cognition and Brain Sciences Unit, einem Fachbereich der University of Cambridge. Hier werden unter anderem neue Behandlungsoptionen für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen erforscht und entwickelt. In diesem Forschungsfeld stehen Experimente im Vordergrund, bei denen Hirnaktivitäten mit den neuesten technischen Apparaturen gemessen und ausgewertet werden.

Als entscheidend für eine psychische Ausgeglichenheit weist die Forscherin auf die Fähigkeiten des Gehirns hin, unser menschliches Funktionieren im Alltag zu unterstützen, statt es zu behindern. Dies sichert die menschlichen Überlebenschancen und basiert auf biologisch-chemisch-physikalischen Prozessen, die einerseits genetisch getrieben und andererseits erfahrungsorientiert gelernt sind. Psychische Stabilität wird aber auch von unserer Vorhersagekraft unterstützt, die sich einerseits an der Außenwelt, andererseits an unserer Innenwelt orientiert.

Ein Beispiel:

Muss ich mit einer Gefahr, die von außen kommt (Situation, Person), rechnen, oder stehe ich mir mit dem eigenen Verhalten selbst im Wege (Selbst), weil ich mich aktiv in eine Gefahr begebe, wenn ich nachts in einem mir unbekannten Areal einer Großstadt unterwegs bin?

Nord beschreibt psychische Gesundheit als ein Mosaik, das sich aus vielen unterschiedlichen Faktoren zusammensetzt. Nicht alle Faktoren sind bereits neurowissenschaftlich identifiziert. Ein Allheilmittel für eine gelingende psychische Gesundheit ist nirgendwo in Sicht, was auch daran liegt, dass es nur individuelle Lösungen geben kann.

„Lernprozesse im Gehirn, die durch (positive und negative) Überraschungen ausgelöst werden, formen unsere Erwartungshaltung und führen allmählich dazu, dass wir die Welt morgen anders erleben werden als heute. Dieser Prozess aus Erwartungen, Überraschung und Lernen zählt zu den Grundbausteinen mentaler Gesundheit. Er liefert Erkenntnisse über unsere Fähigkeit, Resilienz aufzubauen, aber auch darüber, welche Faktoren das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen und auf welche Aspekte der Psyche bestimmte Therapien und Interventionen abzielen.“ (S. 18)

Camilla Nord nimmt das Zustandekommen von chronischen Schmerzempfindungen ebenso unter die Lupe wie das kurzzeitige Streben nach Lustgewinn. Sie beschreibt nachvollziehbare Alltagsgeschichten aus ihrem eigenen beruflichen oder privaten Leben und liefert dazu eigene Erkenntnisse über beobachtete Zusammenhänge oder Schlussfolgerungen daraus. Auch den Einsatz und die unterschiedlichen Wirkungen von zugeführten Substanzen spricht sie an. Die Autorin geht ganz allgemein der Frage nach: Wie lässt sich das Hirn aktiv unterstützen? Substanzen oder Behandlungsoptionen, die das Hirn aktivieren, spielen oftmals eine entscheidende Rolle, um psychische Erkrankungen zu therapieren. Die Gefahr von Sucht und Abhängigkeiten spricht sie dabei ebenfalls an.

Sie lässt aber auch Aristoteles als Philosophen zu Wort kommen, wenn es um die Einordnung und Benennung von Lust oder Wohlgefühl geht: Auf den Spuren einer Glücksdefinition wird seine Hedonia benannt, die wir als Abwesenheit von Schmerz und einen Gewinn an Lustempfinden verstehen können. Beim Wohlgefühl steht dann mehr die Zufriedenheit im Fokus, hier geht es um langfristiges Gelingen von eigenen Lebensentwürfen, der aristotelische Begriff dafür ist Eudaimonia.

Nord weist darauf hin, dass über alle Zeitalter hinweg eine Tendenz bestand und besteht, eine Zunahme von psychischen Problemen anzunehmen, was sich aber nicht unbedingt in den aktuellen Datenauswertungen widerspiegelt. Psychische Gesundheit als ein universelles Erleben basiert nicht auf einem Allheilmittel, stattdessen braucht es eine individuelle und kulturelle, also gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um eine Balance zu erreichen, die sich den Turbulenzen des Lebens mit seinen Aufs und Abs gewachsen zeigt.

„Obwohl Abgrenzung und Kategorisierung von Krankheiten sich über die Zeit hinweg und je nach Region verändern können, ist das Erleben von psychischer Gesundheit und Krankheit universell.“ (S. 309)

Zum Buch:

Camilla Nord: Das ausgeglichene Gehirn – Was uns die Neurowissenschaft über mentale Gesundheit verrät. Kösel Verlag 2024. 352 Seiten. ISBN-Nr. 978-3-466-37321-5. Hardcover: 25,00 €. E-Book (epub): 17,99 €.

Zur Autorin:

Dr. Camilla Nord leitet das Mental Health Neuroscience Lab an der University of Cambridge, wo sie die Rolle des menschlichen Gehirns für unsere seelische Gesundheit untersucht. Sie studierte in Cambridge und Oxford und ist Mitglied des Vorstands der British Neuropsychiatric Association und der Redaktionsleitung der Scientific Reports der Fachzeitschrift Nature sowie mehrfach ausgezeichnete und sehr gefragte Referentin.

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