Der Koblenzer Kunstverein e.V. bietet regelmäßig Veranstaltungen an, immer wieder auch am Sonntagnachmittag. Es geht dabei um Kunst, aber auch um gesellschaftsrelevante oder philosophische Fragestellungen. Am Sonntag, dem 13. April 2025, ging es um die Philosophin und politische Theoretikerin Hannah Arendt (1906–1975), die heute wieder aktueller denn je ist. Den Vortrag hielt Beatrix Sieben, die sich seit einigen Jahren mit dem Thema Empathie beschäftigt und dabei auch immer wieder auf Hannah Arendt rekurriert.

Angelika Kallenbach und Beatrix Sieben (Foto: ISSO)

Für Beatrix Sieben, aber auch für das ISSO-Institut liegt in dem Ausspruch Hannah Arendts „Wahrheit gibt es nur zu zweien“, mit dem die Philosophin Friedrich Nietzsche (1844–1900) folgt, ein Bekenntnis zur Pluralität. Im sozialen Miteinander erschließt sich das Verständnis für andere Sichtweisen, und Empathie berücksichtigt die ganz persönlichen Betrachtungen aller jeweils Beteiligten. Darin sah Arendt etwas, das über den Status von reiner Freundschaft hinausgeht:

„Das politische Element der Freundschaft liegt darin, dass in einem wahrhaftigen Dialog jeder der Freunde die Wahrheit begreifen kann, die in der Meinung des anderen liegt.“

In ihrem Vortrag stellte Beatrix Sieben Hannah Arendt im Lichte ihrer biografischen Eckdaten und ihrer persönlichen Erfahrungen vor, die von Vertreibung, Flucht, Vertrauensverlust, Angst, finanziellen Sorgen, Wohnungssuche, mangelnden Sprachkenntnissen, aber auch von Freiheitsgeist und jeglicher Verwahrung gegen eine Vereinnahmung geprägt waren. Trotz ihrer vielen Vorträge an amerikanischen Universitäten bevorzugte Arendt ihr Leben lang eine Rolle als Gastprofessorin und genoss ihre Ungebundenheit.

Die Denkwelt von Hannah Arendt, die nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland und ihrer Ausbürgerung achtzehn Jahre als Staatenlose lebte, wurde von diesem Erleben geprägt. Aufgewachsen in Königsberg in einem sozialistisch geprägten Elternhaus, erarbeitete sich die wissenshungrige junge Frau ein umfassendes philosophisches Hintergrundwissen, orientierte sich an den antiken Denkern, verehrte Platon und konnte in der elterlichen Bibliothek auf die Schriften Kants und anderer neuzeitlicher Philosophen zurückgreifen. Sie entschied sich früh für ihr Ziel, ein Philosophiestudium zu absolvieren, und es klingt nicht verwunderlich, dass sie dieses Studium bereits begann, bevor sie ihre Abiturprüfungen absolviert hatte.

Bild: Antje Wichtrey

Sie folgte dem damaligen neuen Stern am Philosophenhimmel, der sich in Marburg niedergelassen hatte, und studierte die ersten Jahre bei Martin Heidegger, der sich in sie verliebte und – wie sie es später einmal formulieren sollte – ihr das Denken beibrachte. Wolfram Eilenberger, einer der Moderatoren von „Sternstunde Philosophie“ im Schweizer Fernsehen und selbst Autor von philosophischen Texten äußert sich dazu 2020 im Buch zur Ausstellung über Hannah Arendt im Deutschen Historischen Museum wie folgt:

„Für Arendt aber wird Heidegger – übrigens ganz wie von ihm in seinen frühen Briefen erhofft – ab 1925 zum Ursprung in den eigenen Weg.“

Nach zwei Jahren heimlicher Liebesaffäre schaffte sie den Absprung und rundete ihre philosophischen Erkenntnisse bei Karl Jaspers in Heidelberg ab. Jaspers wurde ihr Doktorvater und blieb lebenslang ein Mentor und Freund für sie. Auch diese Erfahrungen prägen das Werk Arendts und fließen 1928 in ihre Promotionsarbeit „Über den Liebesbegriff bei Augustin“ ein sowie später in ihr erstes Buch über die Lebensgeschichte der Jüdin Rahel Varnhagen und deren Salonleben im 19. Jahrhundert.

Die Fertigstellung des Buches wurde unterbrochen. Arendt flüchtete 1933 ins Pariser Exil und schaffte, nach einem kurzen Aufenthalt im südfranzösischen Internierungslager Camp de Gurs, 1941 die Überfahrt nach New York, zusammen mit ihrem Ehemann Heinrich Blücher (1889–1970). Bis zur Anerkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft sollten dann aber noch einige Jahre vergehen. All dies prägte ihr Erleben, Denken und Schreiben.

Hannah Arendt machte keinen Hehl daraus, dass für sie Freundschaften wichtiger als alle anderen Zugehörigkeiten waren, wie sie 1963 in einem Brief aus New York an Gerhard Scholem ausführlich beschreibt:

„Erstens habe ich nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt, weder das deutsche noch das französische, noch das amerikanische, noch etwa die Arbeiterklasse oder was es sonst noch gibt. Ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig. Zweitens aber wäre mir diese Liebe zu den Juden, da ich selbst jüdisch bin, suspekt. Ich liebe nicht mich selbst und nicht dasjenige, wovon ich weiß, daß es irgendwie zu meiner Substanz gehört.“

In einem 1969 durchgeführten Interview mit Günter Gaus beschreibt Hannah Arendt, dass es für sie persönlich der größte Schock im Jahr 1933 war, als sie feststellen musste, wie viele der Freunde aus ihrem Kreis gleichgeschaltet (worden) waren und sich positiv über die Nazis und deren Machenschaften äußerten.

Diese Enttäuschung überwand Hannah Arendt, die sich immer wieder schriftlich in Briefen äußerte und mit aktuellen und überdauernden Fragestellungen auseinandersetzte. Für die letztendlich Menschen wichtiger waren als Meinungen, die verzeihen und vergeben konnte und philosophisch betrachtet daran die besondere menschliche Fähigkeit herausstellte, immer wieder einen Neuanfang („Natalität“ als ein zentraler Begriff in ihrem Werk) herbeiführen zu können. Mit dieser Fähigkeit demonstrierte Hannah Arendt, wie weltzugewandt, menschenfreundlich, empathisch und wie wenig narzisstisch sie war.

Literatur:

Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert (2020) Ausstellungskatalog. Eine Ausstellung im Deutschen historischen Museum in Berlin (Piper Verlag)

Foto; Beatrix Sieben, ISSO

 

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner