Fachtag weist auf Gefahren für die Demokratie hin und bietet Austauschmöglichkeiten
Der Fachtag „Jenseits des Lärms – Lauter Hass im Netz, schleichende Folgen für die Demokratie“ fand am 13.02.2025 in der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz statt. Der Fachtag ist eine jährlich stattfindende Veranstaltung im Rahmen des Landesaktionsplans gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit des Ministeriums für Familie, Frauen, Kultur und Integration. Er dient dem Wissensaustausch und der Vernetzung unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure und richtet sich an alle fachlich und ehrenamtlich Interessierten, die sich in diesen Bereichen engagieren.
Foto: Beatrix Sieben, ISSO
Die diesjährige Veranstaltung beschäftigte sich gemäß dem zweiten Teil ihres Titels mit dem Ausmaß digitaler Gewalt und deren – auch schleichenden – Auswirkungen auf die demokratische Gesellschaft. Eröffnet wurde sie von Familienministerin Katharina Binz.
„80 Prozent aller Internetnutzenden sind schon einmal Hass im Netz begegnet, bei den 14- bis 24-Jährigen sind es sogar 93 Prozent. Hass im Netz ist für Millionen Menschen Alltag. Das ist nicht nur für direkt Betroffene oftmals traumatisch, sondern verändert auch die öffentliche Debattenkultur und beeinflusst negativ, wie Informationen gewonnen und Meinungen gebildet werden. Das gefährliche Potenzial digitaler Gewalt und Desinformation für die Gesellschaft ist heutzutage nicht nur in den USA deutlich sichtbar. Um die Demokratie zu verteidigen, benötigen wir deshalb auch online wirksame Strategien und aktives Handeln“, betont Binz, „Hass kann alle treffen, aber er trifft nicht alle gleichermaßen.“
Der Fachtag bot mit seinen drei unterschiedlichen Vorträgen reichlich „Food for Thought“. Die Referierenden verfügten über umfassende Sachkenntnisse, um eine breite Problemanalyse der digitalen Gewalt aus der Perspektive von Betroffenen, Täterinnen und Tätern aufzuzeigen. Diese Analyse bot neben rechtlichen Aspekten und der Darstellung spezifischer Mechanismen, wie das Netz funktioniert, reichlich Stoff für die anschließende Podiumsdiskussion.
Mitwirkende
Torben Kirstein von HateAid referierte über Betroffene: „Wen trifft es und warum?“
Fluky alias „Kartoffel mit Herz“ ist freiberufliche Trainer*in im Bereich politische Bildung und referierte über Agierende: „Wer sind die Hater*innen und was sind ihre Strategien?“
Jan Rau vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt referierte über: „Digitale Turbulenzen und die Herausforderungen einer demokratischen Gesellschaft in Zeiten des digitalen Umbruchs“
„Gewalt ist kein neues Problem“, erläuterte Torben Kirstein, „neu ist der Raum, in dem er stattfindet und dass dies ein rechtsdurchsetzungsfreier Raum wahrgenommen wird.“
Neben einem persönlichen Frustabbau und dem Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit, die durch Individuen und Einzelne zu Hass und Hetze im digitalen Netz führen, liegt die organisierte Radikalisierung laut Bundeskriminalamt mit 77 Prozent besonders hoch. Als Ziele lassen sich hier insbesondere Einschüchterung von Personen, aber auch eine absichtsvolle Diskursverschiebung in der Gesellschaft wahrnehmen. Viele Wiederholungen und wiederkehrendes Verhalten prägen den Umgangsstil und verändern schleichend, aber kontinuierlich den Umgangston.
„Kalkulierbare Tabubrüche werden begangen, um das Vertrauen in demokratische Grundwerte zu erschüttern.“ Nach dieser Feststellung weist Fluky alle Akteurinnen und Akteure darauf hin, die Wiederholungen und die Gleichmacherei zu durchschauen, andere und bestmögliche positive Geschichten ins Netz zu setzen und diese breit zu streuen.
Mit der Fragestellung zur Eröffnung seines Vortrags, ob die Digitalisierung schuld am Niedergang unserer Demokratie sein wird und ob die Krise eine digitale Krise ist, sprach Jan Rau Befürchtungen aus, die viele überzeugte Demokratinnen und Demokraten teilen. Er räumte ein, dass es mit dem digitalen Wandel eine neue und laute Pluralität und eine größere Sichtbarkeit für Themen und Problemfelder gibt: „Das ist ungewohnt für alle Beteiligten, wir haben das Navigieren im digitalen Netz noch nicht gelernt.“ Trotz einer gewissen Wirkung, die vergleichbar mit einem Brandbeschleuniger ist, teilt er nicht die Meinung, dass das Internet als Sündenbock abzustempeln sei.
Viele Fragen und Anmerkungen aus dem Auditorium zeigten, dass hier Interessierte zusammengekommen waren, denen das Thema ein ernstes Anliegen ist. Menschen, die sich Sorgen um Auswirkungen von Hass und Hetze im digitalen Netz machen. Engagierte Fachkräfte oder Ehrenamtliche, die gegen diese Tendenzen und Strömungen vernetzt vorgehen wollen. Mit vereinten Kräften „den Treibstoff rausziehen“ und die digitalen Plattformen für eine konstruktive Debattenkultur nutzen, das war zugleich die Zielvorstellung vieler, aber auch erklärtermaßen ein gewisses Wunschdenken.
Vielfältiges Engagement gegen Hass und Hetze
In der Mittagspause präsentierten sich viele rheinland-pfälzische Initiativen mit ihrem Informations- und Servicematerial und beantworteten Fragen der Teilnehmenden.
Das Engagement gegen digitale Gewalt ist vielfältig in Rheinland-Pfalz: Vertreten waren medien.rlp, SoliNet, klicksafe sowie die Initiative des Pädagogischen Landesinstituts „Stark im Netz“ und das Jugendforum Mainz, von dem Argumentationshilfen gegen Hasspropaganda von Jugendlichen selber erstellt und angeboten wurden. Außerdem gab es Einblicke in die Kampagnen #ScrollNichtWeg des Familienministeriums und #contraHass RLP der Polizei Rheinland-Pfalz.
Das interaktive Austauschformat des Ministeriumsreferats für Demokratieförderung, Gewalt- und Extremismusprävention hat sich bewährt. Mit den Worten der Referentin Svenja Pauly geht es bei Veranstaltungen dieser Art auch darum, sich als Gemeinschaft informiert und gestärkt den weiteren Herausforderungen zu stellen. Die grundsätzliche Hoffnung auf eine schnelle Veränderung, damit kein Grund zur weiteren Sorge besteht, muss jedoch aufgegeben werden, egal wie nachvollziehbar sie ist.
Die Veranstaltung zeigte stattdessen auf, dass die Befürchtungen und Ängste nicht zwangsläufig in die Ohnmacht führen müssen. Und dass es ein gemeinsames Ziel für deutsche und europäische Verhandlungen sein könnte, die Aufmerksamkeitslogiken und Regulatorien von digitalen Plattformen mittel- bis langfristig zu verändern und die Betreiber der Plattformen deutlich mehr in die Verantwortung zu nehmen.
Weitere Informationen zum Landesaktionsplan unter: https://mffki.rlp.de/…