Shakespeares grüne Welten

Ein derartiges Buch kommt nicht alle Tage auf den Tisch, nicht vom Thema, nicht vom Umfang und nicht von der Tiefe und wissenschaftlichen Gründlichkeit der Bearbeitung. Vermutlich gibt es unter den ISSO Leser*innen eine überschaubare Anzahl von Shakespeare-Expert*innen, eine ebenso überschaubare Zahl von Botaniker*innen und wahrscheinlich niemanden, die oder der beides ist. Damit dürfte das hier vorgestellte Buch schlicht für alle interessant sein.

Zum Shakespeare-Jahr 2016, seinem 400sten Todesjahr, fand unter dem Titel „Garten-Theater – Pflanzen in Shakespeares Welt“ in rund 30 botanischen Gärten in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine sehr erfolgreiche Ausstellung statt, die Botanik, Literatur und Theater verband, liest man im Vorwort des Buches. Zu dieser Woche der Botanischen Gärten gab es einen Katalog, der naturgemäß keine allzu große Verbreitung gefunden hat, der im Nachgang aber den Ausschlag und die Grundlage für dieses Buch ergab. „Garten-Theater“ ist also eine über den Katalog hinaus erweiterte und umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung sämtlicher Pflanzen, die in den Werken Shakespeares vorkommen. Dabei lässt die Gründlichkeit wirklich nicht zu wünschen übrig.

Wieviel Botanik findet sich bei Shakespeare?

Selbst wer die wichtigsten von Shakespeares Werken kennt, wird an dieser Stelle vermutlich nicht allzu viel Konkretes wissen. Ja, im Sommernachtstraum mit seinem Feenwald gibt es den bekränzten Puck und die Elfen Bohnenblüte, Spinnweb, Motte und Senfsamen. Aber um wieviel tiefer die Botanik das Werk Shakespeares durchzieht, das weiß nicht jede*r. Er verwendet in praktisch allen Stücken Bäume und Blumen für teils kaum übersetzbare Wortspiele sowie, um die bildliche Vorstellungskraft des Publikums anzuregen, beschreibt Landschaften wie den Feenhügel im Sommernachtstraum mit duftendem Geißblatt, Veilchen und Quendel. Es geht also meist um eine Symbolik, die das Stück in einer weiteren Dimension unterstützen oder für die Zuschauer der Zeit überhaupt verständlich machen sollte, da diese mit den Pflanzen und den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften vertraut waren. Das gilt insbesondere für Gift- oder Heilpflanzen, die immer wieder in den Handlungen vorkommen, ebenso wie für Pflanzen, die den sozialen Status der mit ihnen verbundenen Personen verdeutlichen. Wie tief verwurzelt im wahrsten Wortsinn die Botanik bei Shakespeare ist, wird durch das vorliegende Buch wunderbar bearbeitet.

Umfassender geht es kaum

Der Autor Dr. Stefan Schneckenburger hat als versierter Botaniker seinen fachlichen Blick, also die Pflanzen, als Ordnungskriterium des Buches gewählt. Eingangs erfahren zwar Leser oder Leserin auf über einhundert Seiten viel über den Autor und seine Zeit, dies auch wieder mit einem Schwerpunkt auf das botanische Wissen, weiterhin Grundlegendes über die Umstände des Theaters und seine Rahmenbedingungen. Den Hauptteil des rund 680 Seiten dicken Buches machen dann aber die einzelnen Pflanzenportraits aus, denen jeweils ihr Vorkommen im Shakespeare’schen Werk vorangestellt ist, meist im englischen Original und in einer oder mehreren deutschen Fassungen. Ob Feige oder Fenchel, Malve oder Minze, Pastinake oder Petersilie, die Systematik ist in perfekter wissenschaftlicher Ordnung bearbeitet. Dabei ist das Buch niemals trocken oder langweilig, denn die enthaltenen Beschreibungen der Bedeutung oder Wirkung einzelner Pflanzen werfen von Abschnitt zu Abschnitt stets einen neuen Blick auf die Szenen, die man so bisher nicht sah. Zeitgenössische Holzschnitte und gelegentliche Pflanzenfotos sorgen schließlich dafür, dass das Buch nicht nur aus dem noch so interessanten Text besteht.

Zusammenfassung

Shakespeare beschreibt die Vegetation und einzelne Pflanzen sehr genau quasi im Sinne einer Kulisse, gibt so auch recht klare Vorlagen für die Inszenierung. Heil- und Giftpflanzen entfalten vielfältige Wirkung in den Handlungen. Handlungsorte erhalten durch die Ausstattung mit Pflanzen oft eine eigene Bedeutung. Und nicht zuletzt setzt Shakespeare gern Wortspiele rund um die sexuelle Symbolik von Pflanzen oder Pflanzenteilen ein, wobei der Wortwitz der gewollt missverständlichen Bezeichnungen meist kaum übersetzbar ist. All dies erarbeitet der Autor mit größter Präzision – eine Freude, dieses Buch zu lesen, sicher nicht linear von der ersten bis zur letzten Seite, sondern immer wieder auszugsweise, kapitelweise oder aus einem aktuellen Anlass. Im Wechselspiel von botanischem Wissen und oft augenzwinkernder Darstellung der szenischen Bedeutungen erschließt sich ein Shakespeare, den die meisten unserer Leser*innen in dieser Form und Tiefe vermutlich nicht kannten.

Das ISSO Angebot

Freunde von ISSO können das Buch gerne einsehen, gute Freunde auch ausleihen.

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Schneckenburger, Stefan: Garten-Theater. Shakespeares grüne Welten. wbg Academic in der Verlag Herder GmbH, 1. Edition 2023. Gebundene Ausgabe 680 Seiten. Preis 72,00 €.

ISBN-10    3534276167
ISBN-13    978-3534276165

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