Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe

„Es mangelt uns nicht an Ideologie, sondern an Hoffnung – gerade in diesen Zeiten, in denen die Erderwärmung sowie wirtschaftliche und geopolitische Krisen große Risiken bergen.“ (S. 9)

Bietet die denkbare Möglichkeit eines Zusammenbruchs unserer Zivilisation eine Chance? Braucht es die Einsicht des Scheiterns für den Neubeginn? Stellt sich die Hoffnung von alleine ein, wenn der Wandel in Gang kommt?

Die Autorin Prof. Dr. Corine Pelluchon lehrt an der Université Gustave Eiffel in Paris mit Schwerpunkten auf Moralphilosophie, Ethik und politischer Philosophie.

In ihrem 2023 veröffentlichten Buch „Die Durchquerung des Unmöglichen – Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe“ schaltet Corine Pelluchon eine Glühlampe ein, die einen Weg aus der Dunkelheit der Krisen und Katastrophen heraus zu leuchten vermag. Hauptsächlich adressiert Pelluchon die Klimakatastrophe. Sie zeigt auf, wie sich aus dem Wunsch nach einer gesunden Welt und der Sorge um die Zerstörung der Erde Ängste und Depressionen entwickeln können. Angst als Vorwegnahme einer Gefahr kann zu einer Niedergeschlagenheit führen, die ihrerseits wiederum Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht aktivieren kann. Pelluchon stellt diesen negativen Emotionen die Hoffnung an die Seite: eine Glühlampe, deren Strahlkraft moderat hell, aber dafür lang anhaltend und nachhaltig leuchtet.

Für die Philosophin bedeutet die Durchquerung des Unmöglichen, aus den gegenwärtigen lähmenden Gefühlen herauszufinden, das Scheitern von bisherigen Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen zu überwinden, den Wandel zuzulassen oder noch besser mitzugestalten, Mut für das Unbekannte aufzubringen, sich die eigenen Verletzlichkeiten einzugestehen und auf einen Neubeginn zu vertrauen. Die Hoffnung ist dafür eine Gefährtin, sie glüht als kleines Trost spendendes Licht auf dem Weg ins Ungewisse. Wenn es um die Kraft des Neubeginnens geht, dann greift Pelluchon auf das Bild der Natalität von Hannah Arendt (1906–1975) zurück, die damit die besondere Fähigkeit der Menschen beschreibt, ohne von Vergangenem abhängig zu sein, immer wieder neu handeln zu können.

Pelluchon reflektiert die Stimmung in der Bevölkerung, sie versucht nachzuvollziehen, was den Unmut und den Überdruss einer großen Mehrheit von Bürger*innen in der Gesellschaft ausgelöst haben könnte. Sie schaut auf Frankreich und hat auch Europa im Blick. Und sie erkennt die Zerbrechlichkeit der Demokratien, warnt vor Optimismus, der als falscher, Glück versprechender Heilsbringer nur ein schlechter Ersatz für die Hoffnung sein kann. Für Pelluchon fehlt es aber an Hoffnung:

„Das Fehlen eines kollektiven Horizonts hat zu einer Leere geführt, die jeder auf seine Weise zu füllen versucht, indem er sich um seine Karriere kümmert, seinen Terminkalender füllt, sich in sein Privatleben mit Familie oder Freunden zurückzieht oder sich in Vereinen engagiert.“ (S. 68)

Die Philosophin ermuntert dazu, sich von Illusionen zu verabschieden und auf „falsche Großartigkeit zu verzichten“ (S. 79), um eine Sehnsucht nach neuen Wegen und Lösungen zu entfalten:

„So kann ein Volk, das seine alten Träume von Ruhm aufgibt, sich für das öffnen, was in seinem Inneren von ungebrochener Kreativität zeugt.“ (S. 74)

Pelluchon weist auf diejenigen hin, du schon heute in Not sind. Dazu gehören Klimaflüchtlinge, die unter den Folgen der Erderwärmung leiden, ebenso wie jene, die sich sorgend für den Erhalt unserer Welt einsetzen. Und sie betrachtet „Das Weibliche“ und zeigt auf, dass ältere Frauen erfahrener sein können in der Akzeptanz von Wandel, weil sie in ihrem Spätherbst die Wechseljahre durchlaufen (haben).

Ein zentraler Punkt in Pelluchons Philosophie ist aber auch das Tierwohl. Gewalt gegen Tiere ist für sie ein Symptom der Entfremdung des Menschen von anderen Lebewesen und der Natur. In ihrem 2020 erschienen Buch „Manifest für die Tiere“ weist sie bereits auf deren Leiden hin und appelliert an unsere Menschlichkeit im Umgang mit ihnen.

Für Pelluchon sind die Anerkennung der Verbundenheit, die zwischen allen Wesen existiert, und die Erfahrung der eigenen Verletzlichkeit die Grundlagen für ein Gefühl von Demut, welche sie als Voraussetzung für gegenseitige Hilfsbereitschaft und aktive Kooperationen ansieht.

„Hoffnung bringt sich auf demütige und zugleich entschlossene Weise zum Ausdruck  Hoffnung erfordert das Aushalten des Negativen und das Erkennen der extremen Ungewissheit, in der wir uns befinden.“ (S. 105,106)

Erst mit dem Überwinden eines verschleiernden Optimismus sowie dem Aufgeben von Verleugnung und Kontrolle suchen sich Intelligenz und Vernunft neue Wege und es finden sich kreative Gedanken und innovative Lösungen ein.

Dazu stellt Pelluchon ihren Betrachtungen ein Gedicht aus dem Buch „Das Mysterium der Hoffnung“ von Charles Péguy (1911) als Motto voran (S. 6):

da schreitet die kleine Hoffnung.

Voran.

Zwischen ihren zwei großen Schwestern.

Jener, die Gattin ist.

Und jener die Mutter ist. […]

Sie ist es, die Kleine, die alles mit fortzieht.

Denn Glaube sieht nur, was ist.

Sie aber sieht, was sein wird.

Liebe liebt nur, was ist.

Sie aber liebt, was sein wird. […]

Die Hoffnung sieht das, was noch nicht ist

Und sein wird.

Sie liebt das, was noch nicht ist und sein wird.

In der Zukunft der Zeit und der Ewigkeit.

Fazit: Auch in negativen Gefühlen liegt eine Kraft. Verletzlichkeit als Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Wandel. Die Autorin reflektiert ehrlich ihre eigenen Ohnmachtsgefühle. Sie zeigt Verständnis für Menschen, die nahezu verzweifeln, spricht über verschiedene Formen von Depressionen und ihre eigenen Erfahrungen damit. Sie zeigt auf, welchen Weg sie für möglich (gehbar) hält. Dabei weist sie auf Gefahren hin, die in uns selbst schlummern oder die von außen Einfluss nehmen (wollen). Statt in Verzweiflung oder in Agonie zu verfallen, ermuntert die Autorin dazu, mutig und handlungsaktiv zu bleiben. Und stellt den Menschen die Hoffnung, quasi als „kleine Schwester“, wegbegleitend und unterstützend an die Seite.

Autorin: Prof. Dr. Corine Pelluchon, geboren am 2. November 1967 im westfranzösischen Barbezieux-Saint-Hilaire, lehrt an der Université Gustave Eiffel in Paris mit Schwerpunkten auf Moralphilosophie, Ethik und politischer Philosophie. Zuvor war sie Professorin für Philosophie an der Universität Franche-Comté. 2016 wurde sie an die Universität Paris-Est-Marne-la-Vallée berufen. Dort ist sie satzungsmäßiges Mitglied des interdisziplinären Labors für das Studium der Politik Hannah Arendts. Im Rahmen des Fellowship-Programms „The Human Condition in the 21st Century“ forschte sie am THE NEW INSTITUTE Foundation gGmbh in Hamburg. Pelluchon erhielt 2020 den Günter Anders-Preis für kritisches Denken.

Buchrezension: Beatrix Sieben

Angaben zum Buch:

Corine Pelluchon (2023): Die Durchquerung des Unmöglichen – Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe. München: C.H.Beck. 3. Auflage 2024. ISBN-Nr. 978-3-406-80753-4. 159 S. Hardcover 22,00 €, E-Book 16,99 €

Neuerscheinung:

Corine Pelluchon (2024): Lʼêtre et la mer. Pour un existentialsime écologique. Paris: Presses Universitaires de France (puf). EAN-Nr. 9782130850434. 336 S. 21,00 €, digitales Format 14,99 € [bisher nur auf Französisch erschienen]

 

 

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner