„Früher war mehr Lametta!“ – dieses geflügelte Wort von „Vicco“ von Bülow alias Loriot passt auch zur Zukunftsdebatte. Früher schien vieles besser. Welche Betrachtung bevorzugen Sie selbst? In welcher Zeitdimension bewegen Sie sich meistens? Sind Sie in der Vergangenheit, in der Gegenwart oder in der Zukunft unterwegs? Es lässt sich herausfinden, denn diese Dimension beherrscht oft auch unsere Kommunikation. Wenn wir Florence Gaub in ihren Anschauungen folgen, dann geht es darum, der Zukunft grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Der Zukunft – oder besser gesagt uns selbst – die Angst vor deren Unvorhersehbarkeit oder auch deren Unkontrollierbarkeit zu nehmen. Die Autorin verweigert sich keinesfalls der Vergangenheit, sondern sieht darin ein für die Zukunft notwendiges Geschichtsbewusstsein, welches sie zur Gestaltung von Zukunft als unabdingbar und notwendig erachtet. Aber Gaub gibt zu bedenken: „Zu viel an Vergangenheit kann die Zukunft durcheinanderbringen.“ (S. 82)

Die Politikwissenschaftlerin hält unsere Gesellschaft für wenig zukunftsorientiert und startet mit ihrem Werk „Zukunft – Eine Bedienungsanleitung“ eine spannende Auseinandersetzung mit dem Thema, das uns gerade alle mehr oder weniger beängstigend beschäftigt.

Zum Einstieg lässt die Autorin Captain James T. Kirk zu Wort kommen, den ersten Kommandanten des Raumschiffs Enterprise (Star Trek, Episode VI: Das unentdeckte Land, 1991): „Es geht um die Zukunft, Frau Kanzlerin. Manche Leute denken, die Zukunft bedeutet das Ende der Geschichte. Nun, die Geschichte ist noch nicht ganz vorbei. Ihr Vater nannte die Zukunft das unentdeckte Land.“

Florence Gaub widmet sich mit dieser Bedienungsanleitung möglichen Zukünften und verlässt dafür das gängige Mainstreamdenken, sich die Zukunft weit weg und unkontrollierbar vorzustellen. Als Zukunftsforscherin sensibilisiert sie für ein Zukunftsbild, das von uns allen täglich mit beeinflusst wird: durch unser Denken und unser Tun. Gaub hält „den Blick in die Zukunft für die Freiheit der Menschen von essenzieller Bedeutung“ (S. 36) und nennt die Zukunft „ein Instrument zum Umgang mit Ungewissheit“ (S. 37). Ihre Schlussfolgerung: „Je mehr Zukünfte man sich vorstellen kann, umso freier wird man.“ (S. 39)

Weil eine positive Zukunft, wie wir sie (uns) früher konstruiert haben, heute nicht mehr erstrebenswert scheint und sich ein Wechselspiel von positiven und negativen Szenarien eher die Waage hält, braucht es neue Zukunftsvisionen. Für die Naturwissenschaftlerin, die als Militärstrategin bei der NATO beschäftig ist, ist die Vergangenheit als Datenbasis nutzlos für alles, was neu oder noch nicht da gewesen ist. Dies liegt daran, dass sich unsere Erinnerungen meist mit anderen, ähnlichen Erinnerungen verschmelzen und sich daraus eigene Geschichten ergeben können, die nicht unbedingt wahr sein müssen. Gaub weist darauf hin, dass wir uns auch falsch erinnern können. Und das führt oft genug – wie es jeder sicherlich schon einmal erlebt hat – in die Rechthaberei und nicht zu einer nützlichen Debatte, die uns im Hinblick auf neue Lösungen weiterbringen würde.

Tagträumen statt Googeln

Die Zukunft explorativ vorausdenken, das ist ihr Credo. Dies benötigt einen klaren Willen dazu, Übung und Methode. Es gilt, sich kreatives Potenzial zu erschließen. Das bedeutet auch, sich konkrete Fragestellungen auszudenken. Kreativität bildet eine Brücke von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft, eine Schlüsselkompetenz für alle Wissenschaftler*innen und Forscher*innen. Gaub zitiert Isaac Newton: „Wenn ich weiter nach vorne sehen konnte, dann nur, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.“ Doch die Entscheidung, auf die Schultern von Riesen zu klettern, die treffen wir selbst – oder eben nicht. Abstand in der Sache scheint auch sonst notwendig, z.B. um der gängigen Krisenlastigkeit in der Berichterstattung zu entkommen. Die Autorin schlägt vor, Zeiten ohne Medienkonsum für Tagträumereien und Mußestunden frei zu halten. Kunst, Musik und Literatur bieten der Kreativität genügend Stoff und regen an, über den Tellerrand hinauszudenken. Das ständige Googlen befriedigt zwar auch die Neugier, fördert aber keine Kreativität, da es ein Hin-und-her-Springen ermöglicht und somit Gedanken wie am Fließband produziert (S. 66).

Kreativität und Empathie vergleicht Gaub mit einem Muskel, den man durch Gebrauch trainieren kann. Gefühle als Motor treiben uns an, wenn wir uns neuen Herausforderungen stellen, aber zu intensive Gefühle beeinflussen wiederum die Kreativität (S. 91).

Es geht also darum, dass wir trotz aller Krisen offen dafür bleiben, dass die Zukunft ein anstrebenswerter Ort ist, in dem wir einen Möglichkeitsraum sehen, den wir selbst teilweise mitgestalten können: „Möglicherweise wird die Zukunft nie so gut oder schlecht sein, wie wir sie uns vorgestellt haben, oftmals ganz anders.“ (S. 94)

Gaub verspricht nichts wirkliches Neues in ihrem Buch, daher ist der Begriff der Bedienungsanleitung klug gewählt. Es geht um die Disziplin des eigenen Denkens, welches uns in Sackgassen führen kann und durch negative Gefühle blockiert wird, wenn wir es zulassen. Mit dieser Bedienungsanleitung gelingt eine positive Selbststeuerung leichter. Und so zitiert Gaub am Ende ihres Textes Jules Verne: „Alles fing mit einer oft verlachten Idee an.“ Es lohnt sich also für uns alle, wenn wir offen, kreativ und konstruktiv bleiben bei der Suche nach unserer Zukunft.

Fazit

Ein optimistisches und kluges Buch, eine wahrliche Bedienungsanleitung zum Umgang mit dem eigenen Denken, gerade in Zeiten von Informationsflut, Unsicherheit und Fake News. Eine Aufforderung, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern auf den Rücken von Riesen, die vor uns da waren, zu steigen und von dort aus den Blick nach vorne zu stärken. Ein Wegweiser auf dem Weg in die Welt von morgen, die garantiert anders werden wird als die Welt von heute, weil alles andere, sprich Stillstand noch beängstigender wäre.

Buchrezension: Beatrix Sieben

Zukunft – Eine Bedienungsanleitung ist am 14.09.2023 bei dtv in gebundener Form (ISBN-Nr. 978-3-423-28372-4, 224 Seiten,  – mittlerweile 7. Auflage) und als E-Book (ISBN-Nr. 978-3-423-44320-3) erschienen.
Außerdem ist am 14.03.2024 eine Lizenzausgabe bei der Büchergilde Gutenberg erschienen (ISBN-Nr. 978-3-7632-7532-8, 224 Seiten).

Dr. Florence Gaub ist Politikwissenschaftlerin, Militärstrategin und Zukunftsforscherin. Von 2009 bis 2013 war sie am NATO Defense College beschäftigt, seit 2023 ist sie es erneut als Direktorin der Forschungsabteilung (Research Division Director) in Rom. Bis 2018 war sie Senior Analyst des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsstudien in Paris (EUISS). Florence Gaub berät Regierungen und internationale Organisationen anhand von Zukunftsszenarien und Trendanalysen.

Weitere Informationen unter:

https://de.wikipedia.org/wiki/Florence_Gaub

https://www.dtv.de/buch/zukunft-28372

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