Foto, Beatrix Sieben, ISSO

Not ist nicht weit weg. Sie findet sich häufig in der Nähe. In der Nachbarschaft, im Familien- oder Freundeskreis. Not für Frauen und Kinder, aus einem gewalttätigen Umfeld loszukommen, einen sicheren Unterschlupf zu finden, aus häuslicher Bedrängnis und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu entkommen. „Aktuelle Zahlen weisen darauf hin, dass die Ereignisse von häuslicher Gewalt steigen“, so informiert Alexandra Neisius, die Leiterin des Frauenhauses Koblenz, das Publikum. Mit der musikalischen Lesung, organisiert durch den Förderverein Lesen und Buch und den Zonta Club Koblenz Rhein-Mosel, wird Spendengeld für das Frauenhaus Koblenz gesammelt. Durch Bundesmittel wurden Baumaßnahmen finanziert, die das Frauenhaus um zwei weitere Zimmer und ein Notfallzimmer – für schnelle Hilfe – erweitern. Für die Ausstattung der Zimmer und die Betreuungskosten durch das Personal reichen die Mittel nicht, hier sind Spenden willkommen.

Katharina Wimmer, Waltraud Arnold, Traute van Aswegen.

Im Rahmen der Veranstaltung wurde einerseits das Leben von Mascha Kaléko beleuchtet und andererseits parallel zu den biografischen Abschnitten ihre Lyrik vorgetragen. Die Vorleserinnen vom Förderverein Lesen und Buch Traute von Aswegen und Waltraud Arnold haben eine wundervolle Komposition geschaffen, bei der Lebensspuren biografisch und lyrisch wie ein gemeinsamer Strang zusammengewoben schienen. Eine anregende und künstlerisch anspruchsvoll vorgetragene Lesung, die durch die musikalischen Einlagen klassischer Musik, gespielt vom duoW – das sind Katharina Wimmer (Violine) und Ingrid Wendel (Piano) –, wundervoll harmonisch abgerundet wurde.

Biografisches zu Mascha Kaléko

Mascha Kaléko wurde 1907 im österreich-ungarischen Galizien als Tochter jüdischer Eltern geboren. Ihr Leben war geprägt von Heimatlosigkeit, immer wieder musste sie umziehen, erstmals 1914 mit ihren Eltern nach Frankfurt am Main. In den 30er-Jahren lebte die jüdische Autorin im pulsierenden Berlin, sie schrieb kurze, einfache, sprachwitzige Gedichte, wurde verglichen mit Kästner, Morgenstern und Ringelnatz. Kalékos erstes Buch „Das lyrische Stenogrammheft“ erschien 1933 im Rowohlt Verlag in Berlin. Erst 1938 flüchtete die erfolgreiche und wirtschaftlich unabhängige Lyrikerin mit Kind und Mann in die USA, von wo aus sie in den 60er-Jahren nach Palästina auswanderte.

„Mascha Kalékos Leben wurde von der Heimatlosigkeit geprägt, vom Leiden an der Unzugehörigkeit. Sie blieb überall eine Fremde: In Deutschland eine polnische Jüdin, in Israel eine deutsche Jüdin, in Amerika eine unbelehrbare Europäerin. Und in Polen? Da kannte man und kennt man nicht einmal ihren Namen.“

Marcel Reich-Ranicki über Mascha Kaléko, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juni 2007

Auch wenn sich ihre produktivste Zeit in den 20er- und 30er-Jahren verorten lässt, schrieb Mascha Kaléko immer wieder über ihre Gedanken oder Gefühle, beobachtete Gegebenheiten, Alltägliches und Zwischenmenschliches und zeigte dabei ihr Talent, die passenden Worte zu finden und Sachverhalte kurz und klar auf den Punkt zu bringen. Nicht ohne Humor und Sinn für das Komische im Alltäglichen. Im Nachkriegsdeutschland erlebte Kaléko eine beispielhafte Renaissance, ihre Lyrik wurde von Rowohlt und dtv neu aufgelegt und ihre Texte werden bis heute von namhaften Künstler*innen vorgetragen. Im Sommer 1974 trat die Dichterin ihre letzte Europareise an, von der sie aus gesundheitlichen Gründen nicht zurückkehrte. Am 21. Januar 1975 verstarb Mascha Kaléko in einer Züricher Klinik. Sie hinterließ unvergessliche Zeilen. Hier ein Auszug aus einem ihrer biographischen Gedichte:

Foto, Beatrix Sieben, ISSO

„Ich bin vor nicht zu langer Zeit geboren
In einer kleinen, klatschbeflissenen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat.

Mein meistgesprochenes Wort als Kind war ‚nein‘.
Ich war kein einwandfreies Mutterglück.
Und denke ich an jene Zeit zurück:
Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.

Im letzten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
– Ich war schon zwölf, als ich noch immer dachte,
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.

Zwei Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb sie mich – zwecks Bildung – bald entfernten;
Doch was wir auf der hohen Schule lernten,
Ein Wort wie ‚Abbau‘ haben wir nicht gehabt.

Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der Jugend und vom ethischen Niveau –
Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich aber leider trat nur ins Büro.

Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
(Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.)

Bei schönem Wetter reise ich ein Stück
Per Bleistift auf der bunten Länderkarte.
– An stillen Regentagen aber warte
Ich manchmal auf das sogenannte Glück …“

Interview mit mir selbst zählt zu ihren bekanntesten Gedichten und ist zudem eines der wenigen Werke, in dem sich die Lyrikerin über ihre eigene Kindheit äußert. Es erschien als Vorabdruck erstmals 1931 im Berliner Tageblatt. Später nahm Kaléko es mit in ihr Buch „Das lyrische Stenogrammheft“ auf.

Mehr Informationen:

zum Förderverein Lesen und Buch http://www.lesenundbuch.de/

zum Frauenhaus Koblenz https://koblenzer-frauenhaus.de/

zum Band Gesammelte Gedichte von Mascha Kaléko bei der Büchergilde Gutenberg https://www.buechergilde.de/shop/produkte/171821-bewolkt-mit-leichten-niederschlagen

 

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