Das ISSO-Institut und die Martin-Görlitz-Stiftung sind bestrebt, interdisziplinäre Veranstaltungen und Wissenschaftstransfer im Kontext von gesellschaftlicher Transformation anzubieten sowie Themen aufzugreifen, die zur Stärkung unserer Demokratie beitragen. Bevorzugt in Kooperation mit Gleichgesinnten und Hochschulen, wie auch in diesem Falle, mit den Universitäten Koblenz und Erfurt.

Dem Organisationsteam war es wichtig, dass sich unterschiedliche Zielgruppen angesprochen fühlen, junge Menschen, Altstadtbewohner, Senioren, Menschen mit Migrationshintergrund, Studierende ebenso wie Berufstätige oder politisch Aktive und ehrenamtlich Engagierte.

Die Veranstaltung und das Programm sollten kurzweilig und informativ sein, was durch die Mitwirkung von fachübergreifenden Expert:innen und durch eine Podiumsdiskussion sichergestellt wurde. Der Titel der Veranstaltung: „Politik|en der Empathie – Welche Empathie braucht Politik?“ ergab sich u.a. durch die Nähe des Veranstaltungsortes zum Ahrtal, wo im Juli 2021 die Flutkatastrophe viele Menschenleben forderte und das sich als Region bis heute in einem Ausnahmezustand befindet.

Gewölbesaal, Koblenz am 10.05.2023

Schon die Einführung ins Thema Empathie im Gespräch zwischen Prof. Wolf-Andreas Liebert von der Universität Koblenz und Prof. Holger Zaborowski von der Universität Erfurt machte deutlich, dass die Bandbreite von Empathie außergewöhnlich und ihre Anwendung vielseitig ist: Zwischen menschlich einfühlsam und strategisch ausgebufft. Eine Definition des Begriffs Empathie benötigt unterschiedliche Blickwinkel: Es spielen philosophische, soziologische, psychologische, politik- und kulturwissenschaftliche Aspekte eine Rolle.

Empathie ist menschenfreundlich und kann zum Wohle von Gesellschaft und Gemeinschaft beitragen, Empathie kann aber auch manipulativ, strategisch und zum Zwecke Einzelner oder gegen eine Gemeinschaft eingesetzt werden, wie es in vergangenen und aktuellen Diktaturen deutlich wird.

Empathie mit Menschen, die eine Katastrophe erfahren haben, wurde am Beispiel des Ahrtals diskutiert. Hierzu wurde das Gespräch mit Joerg Meyrer, Pastor aus Bad Neuenahr-Ahrweiler, fortgesetzt. Meyrer berichtete aus seinen konkreten Erfahrungen in den Jahren 2021 bis 2023 und machte deutlich, dass ohne Empathie, Mitgefühl und konkrete solidarische Hilfe vor Ort noch viel mehr Menschen Schaden genommen hätten. „Ohne die Hilfe anderer hätten wir nicht überlebt.“, so seine Aussage. Heute, zwei Jahre später, bröckelt diese Solidarität wieder. Es konzentrieren sich nicht mehr alle in der gleichen Weise auf ein gemeinsames Ziel wie Überleben oder Wiederaufbau im Ahrtal. Das Gemeinschaftsgefühl in der Katastrophe ließ Barrieren überwinden, die jetzt mit einer wiederkehrenden Ungleichs-Wahrnehmung zurückkehren. Der Blick nach rechts oder links, wie geht es bei den anderen voran und weshalb geht es bei mir nicht so schnell weiter, führt zu Frustration und lässt Menschen zweifeln, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Hier könnte Politik für Transparenz sorgen und Kommunikation für Verständnis werben.

Dr. Reinhard Loske, ebenfalls im Ahrtal angesiedelt, betrachtete in seinem Impulsvortrag „Empathie und Nachhaltigkeit“ viele Aspekte des Klimawandels unter dem Blickwinkel von Empathie: Weshalb wurden wissenschaftliche Erkenntnisse so lange ignoriert und wie lässt sich Empathie nahezu ausschalten, sobald Fragen des eigenen Wohlstands gefährdet scheinen? Wo liegen die Fallstricke und wo liegen die Chancen, die sich ergeben, wenn wir unsere Empathie für die Natur und ein gemeinsames Leben auf diesem Planeten Erde empfinden und ernst nehmen wollen? Welche Empathie braucht es, damit wir die Herausforderungen annehmen und bewältigen? Und welche Entscheidungen sollten sich daraus auch für eine Politik ergeben, die sich dieser Empathie verschreibt?

Der zweite Impulsvortrag ergänzte die Perspektive auf Empathie um einen feministischen und politikwissenschaftlichen Blick durch Dr. Brigitte Bargetz aus der Universität Kiel, derzeit mit Vertretungsprofessur in Passau. Die Frage nach einer ehrlichen Empathie, die nicht den gesellschaftlichen oder individuellen Status erhalten oder verteidigen will oder aus einer Überlegenheit agiert, wurde an sehr unterschiedlichen Textstellen wissenschaftlicher und literarischer Quellen aufgezeigt. Sorgen sich Frauen insgesamt mehr um das Wohl der anderen, erkennen sie deutlicher den Mangel und die Schwachstellen von Strukturen in unserer Gesellschaft, die diskriminieren und wenig Empathie für ein Anderssein oder soziale Notwendigkeiten zeigen?

Der Mädchenchor der Singschule von Liebfrauen vermittelte in einer spontanen Einlage, wie Musik im Speziellen und Kultur insgesamt unsere Gefühlswelt zu aktivieren vermag. So erlebten alle Teilnehmenden die Kraft von Empathie als Gefühlsregung, die durch das Mitschwingen oder durch leises Mitsingen bei der musikalischen A Capella Darbietung ausgelöst wurde.

Ziel der Podiumsdiskussion, moderiert von Beatrix Sieben vom ISSO-Institut, war es, die verschiedenen Facetten von Empathie zu beleuchten und aufzuzeigen und dafür zu sensibilisieren, manipulative und dunkle Seiten der Empathie zu erkennen und ihr eine humanistische und gleichstellende Empathie entgegenzusetzen. Eine Demokratie stärkende Empathie kann auch in Krisenzeiten Hoffnung spenden und unsere Gesellschaft zusammenhalten. Die professionelle Moderation ermöglichte eine sehr kurzweilige Gesprächsrunde und integrierte dabei Fragen aus dem Auditorium.

An der Podiumsdiskussion nahmen teil:

  • Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski (Philosophie, Theologie, Ethik)
  • Dr. Reinhard Loske (Politik-, Wirtschafts- und Nachhaltigkeitswissenschaft)
  • Prof. Dr. Wolf-Andreas Liebert (Sprach- und Kulturwissenschaft)
  • Jörg Meyrer (Pfarrer Bad Neuenahr-Ahrweiler, Theologie, Philosophie)
  • PD Dr. Brigitte Bargetz (Politische Theorie, Demokratie- & Populismusforschung, Feminismus und Queer Theorie)
  • Beatrix Sieben (Psychologie, Moderation)

Ab 21:00 Uhr fand ein geselliges Miteinander bei einem Glas Ahrwein statt, um die Winzer und die Region im Ahrtal zu unterstützen. Ein Büchertisch der Koblenzer Buchhandlung Heimes präsentierte eine ausgewählte Bücherauswahl und lud zum Weiterlesen ein. Auf verschiedene wissenschaftliche Artikel und Quellen der Referierenden wurde durch einen Veranstaltungsflyer hingewiesen, entsprechende Links finden alle Interessierten auch auf unserer ISSO Website.

Wir danken noch einmal allen Teilnehmenden für Ihr Interesse und freuen uns mit Ihnen im Austausch zu bleiben:  Eine Evaluation wurde bereits verschickt und soll neben den spontanen sehr positiven Rückmeldungen am Abend der Veranstaltung noch weitere Aspekte abfragen und als Erfahrungswerte für zukünftige Veranstaltungen herausarbeiten. Geben Sie uns gerne Ihr persönliches Feedback oder informieren Sie uns, welche Veranstaltungsthemen Sie sich in der Zukunft wünschen!

Der erste Mitschnitt der Veranstaltung ist auf dem hauseigenen Kanal bei YouTube eingestellt. Weitere Teile folgen.

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