Vor zwanzig Jahren starb Hannelore Marschall-Oehmichen, die Tochter von Walter Oehmichen, deren handwerkliches Geschick und ihre Leidenschaft für die Welt des Theaters etwas besonders in Augsburg schufen. Es ist die Geschichte der Augsburger Puppenkiste. Die Geschichte der Familie Oehmichen ist auch eine Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. Die Bedingungen für den Start waren nicht ideal. Es fehlte an allem was es für die Anfertigung von Puppen und die Inszenierung brauchte. Dennoch war die Leidenschaft der Familie nicht auszubremsen: 1948 ging der Gestiefelte Kater an den Start und erfreute Kinder und Erwachsene in der entbehrungsreihen Nachkriegszeit. Das Augsburger Puppenspiel nahm seinen Anfang und produzierte und inszenierte von nun an wundervolle Märchen, Klassiker, Kinderbücher und Geschichten.
Hannelore Oehmichen, genannt Hatü, die jüngere Tochter von Walter und Rose Oehmichen lernte von ihrem Vater das Marionettenmachen und hinterließ um die 6000 handgeschnitzte Puppen. Sie verbrachte unzählbar viele Stunden in der Werkstatt und schuf mit Herzblut handwerklich unvergleichliche Marionetten. Viele davon wurden in den 70er bis 80er Jahren Stars im Kinderfernsehen: Jim und Lukas, das Urmel, Robbie und der kleine König Kalle Wirsch. Seit 2001 haben viele von ihnen einen festen Platz im Museum „Die Kiste“, wo die einstigen Bühnen- oder Filmstars dauerhaft besucht werden können.
Für Fans gibt es viele spannende Informationen in der Kiste: Wann welche Puppen entstanden sind und wie die Stücke aufeinander folgten. Einblicke in die Handwerks- und Spielkunst. Es zeigt sich ganz en passant, welch faszinierendes Kunsthandwerk sich hier verbirgt und wieviel Aufwand die Fertigstellung auch nur einer Puppe bedarf, die nicht Puppe bleibt, sondern durch Sprecherinnen und Spielführende zum Charakter wird.
Das Theater feiert in diesem Jahr sein 75jähriges Bestehen und präsentiert eine Neuaufführung mit besonderem Charme: Rapunzel zeigt sich als bekannte Märchenfigur mit langem Haar, aber auch mit Mut und neuem Selbstbewusstsein. Auch eine Sonderausstellung wird geboten, die Fans und Besucherinnen in die Spitalgasse locken soll. Denn nicht alle Angereisten schaffen es eine Karte für die Aufführung zu ergattern, dann ist der Besuch im Museum ein kleiner Trost.
Nachdem die Leitung der Augsburger Puppenkiste seit vielen Jahren in den Händen von Klaus Marschall (*1961) liegt, macht sich die vierte Generation zur Übernahme bereit und passt Geschichten, Dramaturgie, Bühnenbild und Puppenspiel den sich verändernden Zeiten an. Die Kistendeckel sollen sich weiter öffnen: Die Kinder zu berühren, durch gute Geschichten und Unterhaltung für Klein und Groß, ohne zu pädagogisieren, ist der Anspruch.
Am 16. Mai 2003 verstarb Hannelore Marschall-Oehmichen, der wir mit diesem Beitrag gedenken. Eine starke Frau, die ihrer eigenen Vision folgte und uns eine wundervolle Hinterlassenschaft vermachte.
In dem Roman von Thomas Hettche „Herzfaden – Roman der Augsburger Puppenkiste“ der in den Jahren 1939 bis 1961 spielt und hinter die Kulissen der Entstehung der Augsburger Puppenkiste schaut, ist Hannelore Oehmichen-Marschall die Protagonistin.
Eine Rezension des Buches lesen Sie hier.