„Allgemein tendieren soziale Systeme zum Konservatismus. Sie schaffen Ordnung – auch wenn mit dieser Ordnung häufig etwas nicht in Ordnung ist.“

Die Organisationen und Prozesse von heute passen nicht in die Welt von morgen – auf dieser These begründen die Herausgeber Lars Hochmann und Sebastian Möller ihr neues Buch. Also fragen sie nach bei Praktiker:innen aus verschiedensten Bereichen nach: „was läuft falsch?“. Und bringen uns verschiedenste Antworten, erzählt von und gemeinsam mit den Menschn, die als Hacker dem Buch ihren Namen geben.

Hacker? Geht’s da nicht um Computerspezialist:innen, die in geschützte Systeme eindringen, ganze Organisationen lahmlegen und sogar Staaten bedrohen? Falscher Alarm in diesem Fall.

Gemeint sind hier nicht (allein) das digitale Hacken und vor allem keine zerstörerischen Attacken, sondern Angriffe auf etablierte aber problematische Strukturen, vor allem in der Arbeitswelt. Die Hacker, um die es hier geht verstecken sich deshalb auch nicht hinter Anonymous-Masken, sondern teilen gerne ihre frischen Ideen und Rezepte für ein besseres Zusammenleben und -wirtschaften in unterschiedlichsten Sektoren von Fußball bis Regionalentwicklung. Es geht ihnen darum, durch das „Ausreizen und die Neuinterpretation und Erweiterung von Regeln und Normen“ Weg zu kommen vom business-as-usual hin zu einer nachhaltigeren und auch menschlicheren Arbeitswelt. Die Hacker aus dem Buch zeigen aber eben keine wahllose oder willkürliche Devianz gegen Hierarchien oder Ordnungen, sondern handeln gezielt, um Grenzen zu verschieben und bessere Ergebnisse, Prozesse und Bedingungen zu schaffen. Das kann auch heißen, Organisationsstrukturen und ihre Eigenheiten gezielt zu nutzen, Stichwort Selektivität des Hackens.

Das Herzstück des 400 Seiten starken Buches bilden 23 Gespräche, die die Herausgebenden und einige andere Interviewer, mit Beitragenden aus der Praxis geführt haben, um jeweils ein Thema oder einen neuen Ansatz aufzugreifen. Da geht es um Themen wie Führung und Vergütung, aber auch die Gestaltung von Räumen oder ganze Institutionen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Abgeschlossen wird das Ganze mit einer allgemeinen Zusammenfassung von einer Charakteristik dessen, was Hacken als Organisationsgestaltung ausmacht – und damit auch klar von „Lifehacks“ ausmacht.

„Die Bandbreite der Gestaltungsgegenstände ist groß. Sie reicht von imaginären Größen wie Werten und Visionen sowie kodifizierten Regeln und Rechtsformen über leibliche Aspekte von Routinen bis hin zur Materialität von Räumen, Artefakten, Dingen und sozialen Kategorien wie Beziehungen und psychologischen Kategorien wie Haltungen und inneren Einstellungen.“

Ebenso spannend wie die Inhalte ist die Form des Buches. Dabei sind die Beiträge angelegt als schriftliche Interviews oder Dialoge und beide Gesprächspartner:innen werden ausdrücklich als Co-Autor:innen verstanden. Das ist sozusagen der Hack des Buches: es verfolgt durchaus einen wissenschaftlichen Anspruch, führt die Studie aber eben gemeinsam mit denjenigen durch, die an ihr teilnehmen. So entstehen dichte, sehr praxisorientierte Texte, aus denen sich viel mitnehmen und vor allem auch der Denkprozess der Befragten nachvollziehen lässt. An einigen Stellen erinnert die Lektüre den Leser leider daran, weshalb schriftliche Interviews als zweifelhafte journalistische Praxis gelten: ihnen fehlen die Natürlichkeit und Authentizität eines echten Gesprächs und der sehr pädagogisch-geschliffene und stets ins Äußerste wertschätzende Stil nervt stellenweise etwas und bisweilen wünscht man sich, der Gesprächspartner hätte die eigenen Gedanken gleich selbst zusammengeschrieben. Eine spannende Idee für die Zukunft wäre es, solche Beiträge als Podcasts zu produzieren!

Das vielleicht Wichtigste zum Schluss: Die konstruktive Art, über innovative Lösungen ins Gespräch zu kommen, sollte man sicherlich als Anregung für den eigenen Alltag nehmen, um auch im eigenen Umfeld mehr mit und voneinander zu lernen. Denn wirklich Spaß macht es, wenn man selbst das Hacken anfängt.

Lars Hochmann ist inter- und transdisziplinär arbeitender Wirtschaftswissenschaftler. Er lehrt und forscht als Professor für Transformation und Unternehmung zu einer reflexiven Theorie der Unternehmung und nachhaltigen Unternehmensstrategien im Kontext gesellschaftlicher Herausforderungen.

Sebastian Möller ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Sustainability Management der Leuphana Universität Lüneburg. Er arbeitet u.a. zur kommunalen Klimafolgenanpassung,  der politischen Ökonomie des Welthandels, nachhaltiger Organisationsentwicklung

Organisationen hacken ist am im Februar 2024 im oekom-Verlag erschienen (424 Seiten, 34€ im Print sowie online Open Access).

Am 19.06.2024 um 19 Uhr findet in der stratum lounge in Berlin eine Buchpräsentation statt; die Teilnahme ist auch digital möglich.

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