Wie der Stadtgraben von Andernach zum Nutzgarten wurde

Brombeeren

Andernach ist nicht nur bekannt für den welthöchsten Kaltwassergeysir, sondern gehört auch zu den ältesten Städten Deutschlands, im Jahr 1988 feierte es sein 2.000-jähriges Bestehen. Die Kleinstadt mit ca. 30.000 Einwohnern gehört zum Landkreis Mayen-Koblenz und liegt direkt am Rhein, im nördlichen Rheinland-Pfalz.

Alles begann mit wilden Brombeersträuchern, die im ehemaligen Stadtgraben fröhlich vor sich hin wucherten und dem Landesdenkmalschutz – im wahrsten Sinne des Wortes – zu einem Dorn im Auge wurden. Dazu kamen ausrangierte und weggeworfene Baumaterialen und Möbelstücke, die sich im Stadtgraben ansammelten und das kulturelle Erbe zunehmend verschandelten. Doch wie so oft, selbst wenn ein Problem erkannt wird, fehlen meist Ideen, aber noch häufiger fehlen die finanziellen Mittel, das Problem beim Schopfe zu packen und zu beseitigen.

Staude an der Stadtmauer

Beherzte und engagierte Menschen braucht es, die nach einer Lösung suchen und anpacken. „Der Stadtrat war seinerzeit wenig motiviert. Auch die Anwohner waren skeptisch. Die vorgeschlagenen Ideen eines Urban-Gardening-Konzeptes, wie es bereits in Großstädten aufkeimte, fanden erst einmal keine Mehrheit. Es brauchte den Druck von außen, in diesem Falle seitens des Landesdenkmalschutzes“, so erklärte uns die engagierte Gästeführerin. Die Überlegungen nahmen Fahrt auf, und die Stadtverwaltung entwickelte mit Unterstützung einer Journalistin ein überzeugendes Konzept: Andernach – die essbare Stadt. Auch dank unterschiedlicher Förderungen wurde in den Jahren seit 2010 eine nachhaltige Grünraumplanung entlang der 1,8 km langen Stadtmauer entwickelt und umgesetzt.

Verschiedene Obst- und Gemüsesorten ebenso wie Küchen- und Heilkräuter wurden gepflanzt und gepflegt. Regionalität und Biodiversität stehen dabei im Vordergrund. „Alte Sorten“ wie die Mispel (Kernobst) oder die Zuckerschote werden wiederbelebt. Mehr als einhundert Tomaten- und Bohnensorten sind in den letzten Jahren gepflanzt und geerntet worden. Der Anbau verzichtet auf Chemikalien. Mit Ausnahme von einigen saisonalen Schnittblumen, die natürlich zur Farbenpracht beitragen, soll alles essbar sein. Es gibt Mangold, Grünkohl, Artischocken, Zucchini, Kürbis, Lauch und auch immer noch Brombeeren. „Pflücken erlaubt“ – so steht es im Flyer der Stadt Andernach.

Granatapfel an der Stadtmauer

Jedes Jahr steht eine der Nutzpflanzen im Fokus und erhält besondere Aufmerksamkeit: Rund um diese Motto-Pflanze werden dann auch Produzenten und Konsumenten zusammengebracht. Die Gastronomie bietet passende Gerichte auf der Speisekarte an. Das Konzept ist anfassbar und hat zusätzlich einen pädagogischen Anspruch: Ernährung soll wieder mehr ins Zentrum unseres Bewusstseins rücken. Die Vielfalt unserer Nahrungsmittel, auch ihre Schönheit sollen sichtbar gemacht werden. Durch die Wärme, die die Steine der alten Stadtmauer spenden, ergeben sich ideale klimatische Bedingungen, sodass selbst Bananenstauden und Granatäpfel gedeihen.

Zwischenzeitlich ist Die essbare Stadt als Vorreiterin Teil einer internationalen Städtepartnerschaft namens „EdiCitNet“ geworden und steht im Austausch mit vielen anderen Städten, darunter Havanna, Oslo, Rotterdam und Montevideo. Ein Erfahrungsaustausch über das Learning by Doing ist hier sehr erwünscht und lässt sich dank digitaler Plattformen gut realisieren.

Der grüne Aktionsraum der Stadt wird mittlerweile von kleinen und großen Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen gut angenommen. Schulklassen nutzen ihn ebenso wie Kindergärten. Für die Zukunft sind Kooperationen oder Patenschaften erwünscht. Die Pflege einer solchen Garten- oder Nutzflächenanlage ist und bleibt aufwendig und helfende Hände sind dauerhaft und zuverlässig nötig.

In Ergänzung zum Konzept Die essbare Stadt wurden im Stadtteil Eich vierzehn Hektar Fläche zu einer Permakultur umgestaltet. Bei dieser Form der „dauerhaften Landwirtschaft“ wird angestrebt, natürliche Kreisläufe so zu nutzen, dass sich diese immer wieder regulieren und an gegebene Umweltbedingungen wie Wärme, Kälte, Regen oder Trockenheit möglichst selbstständig anpassen. Auch Schafe, Ziegen, Schweine, Esel und Schwalben sind dort zu Hause. Ein herrliches Stückchen Erde mit einem sensationellen Blick auf Hunsrück und Westerwald. Für den Einkauf von frischen Waren gibt es einen Shop auf dem Gelände.

Weiterführende Links:

https://www.andernach-tourismus.de/

https://www.edicitnet.com/de/green-cities/

https://www.rheinburgenweg.com/a-permakultur-in-andernach-eich

Dir folgenden Bilder zeigen eine vergleichende Temperaturmessung eines Steingartens und eines bepflanzten Nutzgartens.
Wie groß ist der Temperaturunterschied? Haben Sie eine Idee?

Antwort: 5 Grad und mehr.

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