Klimarecht – das klingt vielleicht erstmal trocken und kompliziert, steckt aber voller echter Krimis und Fragen, die uns alle betreffen und auf die wir einen Einfluss haben. Bis vor wenigen Jahren gab es den Begriff nicht einmal und bis heute ist nicht selten von richterlichem Aktivismus die Rede, der sich über die demokratische Auseinandersetzung hinwegsetze. Wie weit sich das Feld seitdem entwickelt hat, zeigen diverse Klimaklagen, die mit gemischtem Erfolg vor Gerichten weltweit verhandelt wurden. In Deutschland sticht dabei die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz aus 2021 hervor. Mit dieser wurde insbesondere die Bedeutung der Freiheitsrechte künftiger Generationen hervorgehoben und der Ansatz der CO2-Budgetierung gestärkt. Geklagt hatten neben diversen Umweltorganisationen auch Privatpersonen, die eine persönliche Betroffenheit darlegen konnten, wie unter anderem Familie Backsen von der Nordseeinsel Pellworm. Als Rechtsbeistand und Prozessbevollmächtigte an ihrer Seite war dabei die Umweltanwältin Roda Verheyen. In ihrem kürzlich erschienenen Buch arbeitet die Juristin die Vorgeschichte und Folgen dieses Falls ebenso wie zahlreiche weitere Klimaverfahren für ein breites Publikum auf.

Als inhaltlichen Ausgangspunkt wählt die Autorin das Konzept der planetaren Grenzen und das Missverhältnis, in dem diese zu unseren Verhaltensweisen und Institutionen stehen. Dazu stellt Verheyen fest, was in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch eine Resolution der Vereinten Nationen, juristischer Konsens wurde: Klimaschutz ist Menschenrecht.

„Die Erde ist an ihrer Belastungsgrenze. Das müsste sich auch im deutschen und EU-Rechtssystem widerspiegeln. Tut es aber nicht.“

Zudem erfahren die Lesenden viel über die Hintergründe und Schicksale, die mit einzelnen Verfahren, in denen Betroffene und Aktivisten auf die eigenwilligen Strukturen des Rechtsstaats treffen, verknüpft sind. So kommt unter anderem der peruanische Bergführer und Bauer Saúl Luciano Lliuya, den Verheyen in seiner vielbeachteten Klage gegen RWE vor dem Oberlandesgericht Hamm vertritt, ausführlich zu Wort und es wird erklärt, wie eine solche Klage sich entwickelt und mit welchen juristischen Schachzügen und Höhen und Tiefen sie einhergeht. Bei der Lektüre wird ebenfalls klar: Deutschland gehört durchaus zu den Hotspots der Klimarechtsbewegung – nicht zuletzt, weil viele hier ansässige Unternehmen einen erheblichen Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen haben. Auch das Oberlandesgericht Koblenz urteilte bereits 2011 über irreführende Werbeversprechen zur Klimaneutralität eines Produkts. Das Klimarecht ist also längst nicht mehr nur eine idealistische völkerrechtliche Ambition, sondern im juristischen Alltag angekommen.

Die Stärke des Buches liegt darin, die wichtigen Details einzelner Verfahren und ihren komplexen Zusammenhang mit dem großen Ganzen des Klimarechts auch für Leser*innen ohne Vorkenntnisse verständlich zu machen, ohne dabei zu sehr zu vereinfachen. Durch den erzählenden Stil werden die Lesenden eingeladen, sich mit dem Thema auch auf einer persönlichen Ebene auseinanderzusetzen. Schließlich betrifft die Klimakrise uns als Bürger*innen ganz direkt und das Recht gibt im Prinzip allen Betroffenen die Möglichkeit, die Wahrung ihrer Rechte, und dementsprechend auch wirksamen Klimaschutz, zu verlangen. Die gelungene kommunikative Leistung des Buches ist sicherlich auch Verdienst der Journalistin und Co-Autorin Alexandra Endres. So werden nicht nur zahlreiche Gesetze und Verfahren kontextualisiert, auch die künftigen Entwicklungslinien und mögliche Szenarien werden plausibel dargestellt. Dabei wird deutlich, dass die Verrechtlichung der Klimakrise allein diese nicht wird lösen können; es braucht auch hier den Willen zur Veränderung bei Politik und Bürger*innen. Als persönliche Botschaft vermittelt Verheyen daher insbesondere die Bedeutung und Macht, die in einem ernstgenommenen Menschenrecht auf eine lebenswerte Zukunft steckt. Es wird erkennbar, wie das Recht, so undurchdringlich es bisweilen scheinen mag, in einigen Fällen Möglichkeitsräume eröffnen kann, wo die politische Auseinandersetzung immer wieder ergebnislos bleibt.

Einen Eindruck vom Stil des Buchs vermittelt auch ein Auszug, der im März bei der Zeit erschien. Wer tiefer ins Thema einsteigen will, findet bei der Heinrich-Böll-Stiftung zahlreiche Informationen und Videos rund um Klimarecht und aktuell laufende Verfahren.

Roda Verheyen ist Umweltanwältin und spezialisiert auf Klimaklagen. Sie studierte Rechtswissenschaften in Hamburg, Oslo und London. 2002 gründete sie mit Peter Roderick das internationale Netzwerk Climate Justice Programme. Im Klimaklage-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat Verheyen als Prozessbevollmächtigte erfolgreich die Kläger*innen um Familie Backsen. Seit 2021 ist sie ehrenamtliche Richterin am Hamburgischen Verfassungsgericht.

„Wir alle haben ein Recht auf Zukunft“ ist 2023 im dtv-Verlag erschienen.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner