Die Texterin Dora zieht von Berlin-Kreuzberg in ein brandenburgisches 280-Seelen-Dorf. Dora sieht sich nicht als den typischen Großstadtflüchtling, um mit Hilfe von Biotomaten zu entschleunigen. Sie braucht einfach nur Abstand. Sie hat genug von Katastrophen und Panikstimmung, die rund um den Klimawandel und die Corona-Pandemie kursieren.
„Seit Jahren steht Dora in der Pflicht, sich um die Demokratie im Allgemeinen und Europa im Besonderen zu sorgen. Sie muss Farage, Kaczyński, Stache, Höcke, Le Pen, Orban und Salvini ertragen. Den Siegeszug der AfD mitansehen. Erleben, wie die Medien jeden Verstoß gegen die Political Correctness als Verbrechen behandeln und gleichzeitig zulassen, dass sich die Grenzen des Sagbaren in Kommentarspalten und auf Talkshow-Sesseln sukzessive erweitern“. (…). „Fest steht, dass alle Angst haben und dabei meinen, dass nur die eigene Angst die richtige sei. Die einen fürchten sich vor Überfremdung, die anderen vor der Klimakatastrophe. Die einen vor Pandemien die anderen vor der Gesundheitsdiktatur. Dora fürchtet, dass die Demokratie am Kampf der Ängste zerbricht. Und genau wie alle anderen glaubt sie das alle anderen verrückt geworden sind“.
Dora sucht eine Pause „von den vielen neuen Begriffen, die seit Monaten ihren Kopf umschwirren“. Sie leitet auch bewusst eine Auszeit ein aus ihrer Beziehung zu Robert, den sie als einengend und belehrend erlebt und dem sie die geforderte Gefolgschaft aufkündigt.
Mit ihrer Hündin und wenigen Sachen kommt sie in der brandenburgischen Provinz an und trifft auf Menschen, die nicht einfach einzuordnen sind oder in ein typisches Raster passen. Bis auf ihren direkten Nachbarn. Der sich als der „Dorf-Nazi“ vorstellt. Sie trifft auf Politikverdruss und Rassismus, auf Nachbarschaftshilfe und AfD Wählerschaft. Sie erlebt Freundlichkeit, Zugehörigkeit Kauzigkeit, Familiensinn und Menschlichkeit.
Juli Zeh lässt ihre Protagonistin von einer Gefühlsverwirrung in die nächste stolpern und mutet uns Lesenden zu, uns selbst mit der Frage zu konfrontieren „Was ist die Wirklichkeit? Gibt es eine richtige und eine falsche Seite und müssen wir uns für eine dieser Seiten konsequent entscheiden. Auch wenn einige Stereotype wie das Stadt- und Landleben etwas einfach konzipiert scheinen und die Geschichte insgesamt wie ein modernes Sommermärchen wirkt, trifft sie einen empfindlichen Nerv unserer Zeit.
Die Autorin verteidigt die Freiheit und meldet sich zu Wort gegen den Abbau von bürgerlichen Rechten. Als Antwort bringt sie Empathie ins Spiel. Empathie für andere Lebensumstände, Brüche und Wandel. Auch Empathie für Andersdenkende und für irgendeine Art von Kommunikation. Sie mahnt, dass Besserwisserei und Rechthaberei uns nur weiter auseinanderbringen und das eingestehen von Überforderung und Unkenntnis entlastend sein kann.
Sprachlich anspruchsvoll und immer wieder überraschend witzig erschafft Juli Zeh die Vision einer Zugewandtheit und Geborgenheit in einer kleinen Gemeinschaft, die vielleicht erst durch die Wahrnehmung von Verletzlichkeit und Sterblichkeit zustande kommt. Am Ende des Romans bleiben Trauer aber auch Hoffnung als große Gefühle und wir haben vielleicht wieder etwas über uns selbst gelernt und in jedem Fall etwas „Über Menschen“.