Die Veranstaltung „Speakers‘ Corner oder: du hast das Wort“ fand am 26. Oktober 2019 bereits zum zweiten Mal statt. Angelehnt an die Speakers‘ Corners im Londoner Hyde Park bietet das Konzept eine Bühne für Demokratie und Freiheit. Gefördert durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“ beschäftigten sich Impulsgeber und Interessierte diesmal mit „Integration im Sport“, insbesondere im Fußball. Die Kooperationspartner Daniel Steiger (Katholische Erwachsenenbildung), Christopher Hoffmann (Wir gegen Rassismus) und Beatrix Sieben (ISSO-Institut) moderierten und führten gemeinsam durch das Programm.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einem Interview von Max Vohl, Gründer des Vereins „Bananenflanke Koblenz“. Dahinter steckt eine ähnliche Herausforderung, wie die Flanke in der Fußballwelt – das Team Bananenflanke, gegründet in Regensburg, bietet Kindern mit geistiger Beeinträchtigung die Möglichkeit, Fußball zu spielen, ihre Persönlichkeit und dabei ihr Selbstwertgefühl durch den Vereinssport zu steigern. Häufig sind Jugendliche mit geistigen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, den Anforderungen der regulären Mannschaften standzuhalten – der geschützte Rahmen ermöglicht Ihnen Erfolgserlebnisse. An inzwischen 13 Standorten deutschlandweit ist das Team Bananenflanke inzwischen zu finden. Koblenz ist in diesem Jahr dazugekommen. Mittlerweile spielen die Kinder nicht nur in ihren Trainings vor Ort, sondern es finden auch Turniere gegen die anderen Bananenflanken-Mannschaften statt. Das Team trainiert jeden Freitag um 16.00 Uhr in Koblenz-Rübenach und freut sich über Besucher. Weitere Informationen zum Team Bananenflanke finden Sie auf der Internetseite des Vereins.
Den Hauptimpuls lieferte Volker Finke, ehemaliger Fußballtrainer des Bundesligisten SC Freiburg, überzeugter Umweltschützer und Nationaltrainer von Kamerun bei der Weltmeisterschaft 2014. Volker Finke setzte sich bereits Anfang der 1990er-Jahre dafür ein, das Dach des Fußballstadions mit Photovoltaik-Anlagen auszustatten – und erreichte damit, dass das Freiburger Fußballstadion im Jahr 1995 das erst war, das mit Solaranlagen versehen war. Umweltfragen und humanistische Fragen haben ihn von jeher umgetrieben, sagte der ehemalige Lehrer, der im Jahr 2019 für sein Lebenswerk vom DFB ausgezeichnet wurde. Finke beschreibt Fußball als „letztes Lagerfeuer, das Menschen zusammenbringt“ und genau das diesem Grund auch als wichtiges Instrument, um Integration voranzutreiben. Fußball gebe Menschen, die Halt oder Zugehörigkeit suchen, eine Plattform – sei es durch die Identifikation mit einem Lieblingsspieler, einem Lieblingsverein – es schafft ein Gefühl von Zusammenhalt und das weltweit. In den 90 Minuten Spielzeit werde vergessen, welche Herkunft oder Hautfarbe Spieler und Fans haben – das Fiebern für die Mannschaft erschaffe ein Einheitsgefühl. Fußball habe außerdem den Vorteil, dass es zum Spielen keine teure Ausrüstung benötige, sondern nur einen Ball. Dies ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang für Menschen weltweit. Finke beschreibt Fußball als globales Instrument, allerdings als eines, das in einigen Fällen instrumentalisiert werde für Korruption, Selbstbereicherung und Diktat. Außerdem gebe es auch im Fußball ein Rassismusproblem – insbesondere innerhalb der 90er-Jahre habe er als Trainer einer Mannschaft mit Spielern aus verschiedenen Nationen viele unschöne Situationen in Stadien miterlebt. Die Situation habe sich zwar gebessert, es gebe aber nach wie vor Verhaltensweisen, die so nicht toleriert werden könnten. Ziel müsse es sein, es zu schaffen, irgendwann genug Menschen zu finden, die Fußball mögen, aber auch für demokratische Grundwerte einstehen, um Rassismus und Korruption nicht nur an der Basis, sondern auch innerhalb der großen Verbände zu eliminieren. „Der Fußball tut schon vieles für Integration – aber man kann nie genug tun“, lautet Finkes Fazit.
Nach einem musikalischen Intermezzo durch Omar und Majid, die mit orientalischen Klängen aus Syrien –
unter dem Dach von Music Live – startete der interaktive Austausch mit den Besuchern.
In der folgenden Talkrunde berichtet Akim Bamidele, der als Kind mit seiner Mutter aus dem Kongo nach Neuwied kam, von seinem persönlichen Weg der Integration – den er nicht zuletzt dem Fußball zu verdanken habe. Er selbst habe in seiner Kindheit und Jugend beides erlebt: Unterstützung, aber auch viel Hass, Schubladendenken und Fremdenfeindlichkeit. Dies habe ihn insbesondere in seiner Jugend auf die schiefe Bahn und in ein falsches Umfeld gebracht. Erst als sein Vater ihn zum Fußball brachte, schaffte er es, durch das regelmäßige Training Struktur und Disziplin zu finden und diese auch auf seinen Alltag anzuwenden. Er habe hierüber seine vorherigen Handlungen hinterfragt und so einen Wendepunkt in seinem Leben erreicht. Seine Erfahrungen nutzt er heute, indem er gemeinsam mit dem Bistum Trier als „Team Black White“ in Schulen geht und seine Geschichte erzählt – um Kindern, die eine ähnliche Geschichte erlebten wie er, Mut zu machen, aber auch, um anderen Kindern die Angst und Unsicherheit vor dem Fremden zu nehmen. Kritisch sieht er die Veränderung in der Gesellschaft seit 2015 – auch er habe seitdem erlebt, dass er in eine Schublade gesteckt werde, Vorurteile seien präsenter. Man müsse gerade jetzt viel dafür tun, Integration zu ermöglichen.
Tobias Lommer, Spieler und Vorsitzender im SV Germania Metternich berichtet, dass der Verein derzeit etwa 25% Spieler mit Migrationshintergrund habe – dies zu handhaben gehöre zum Alltag eines Vereins. Manche Gegebenheiten müssten umgeplant und angepasst werden, um allen Kulturen gerecht zu werden. Darin sieht er eine selbstverständliche Aufgabe, keine besondere Herausforderung. Um auch beispielsweise diejenigen Spieler und Familien bei Spielen mit Würstchen versorgen zu können, die kein Schweinefleisch essen, habe man zusätzlich Rindswürstchen integriert – und hierbei gelernt, dass man auch darauf achten müsse, in welchem Darm die Würstchen sich befinden. Die Devise des Vereins sei aber, Dinge einfach anzugehen, ohne viel darüber nachzudenken. Dies erleichtere alles. Beeindruckt habe ihn vor allem die eigenen Erfahrungen in Kanada. Die kulturelle Vielfalt, die er dort im Fußball und in der Nation kennengelernt hat, haben ihn beeindruckt und geprägt. Die Offenheit eines interkulturellen „Melting pots“ ist für ihn Orientierung seines täglichen Handelns geworden.
Heinz-Josef Haben, Fußballverband Rheinland, berichtet, dass gerade an der Basis durch die Fußballvereine viel Integrationsarbeit geleistet werde – es würden sogar Sprachkurse organisiert, Praktika, Bewerbungen mit den Jugendlichen geschrieben. Fußball ermögliche es, Anschluss zu finden, sprachliche Barrieren zu überwinden und sich menschlich näherzukommen, gelebte Integration eben. Er ist der Meinung: „Sollte Gott heute noch einmal jemanden auf die Erde schicken, so käme sie vermutlich als Kapitänin eines Rettungsschiffs zu uns – oder als Trainerin einer Flüchtlingsmannschaft.
„Und was ist die Rolle des Sports für die Demokratie?“
Britt Gutmann, Vorsitzende des Sportverbandes Koblenz, resümiert: „Sport, nicht nur Fußball, ist Integration pur. Wir leben Integration und soweit möglich auch Inklusion – Tag für Tag.“ Generell sind sich alle Beteiligten der Speakers‘ Corner einig: Sport bietet eine Möglichkeit, Isolation zu beenden und Struktur zu finden. Es gibt bereits viele Fortschritte, aber man kann nie genug tun. Der Weg ist und bleibt das Ziel – ganz entsprechend dem Tenor von ISSO: „Machen, was geht.“
Die Veranstaltung wird gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben“.