Die Große Transformation erreicht unsere Gärten.

Wir sind in Arbeitsverhältnissen eingespannt, die uns, so wird es jedenfalls gefühlt, nicht die Zeit für intensive Gartenpflege erlauben. Aus unserer Kindheit kennen einige vielleicht noch das kleine Gemüsebeet am Haus, aber die meisten von uns haben über die Jahre doch jeden Bezug zur Selbstversorgung verloren. Den Wert von Gemüse schätzen wir nicht mehr danach ein, dass wir es selbst angebaut haben, sondern an den „Bio“-Beschilderungen im Markt und letztlich am Preis. Das Teurere wird schon das Bessere sein.

Der Garten 2017

Zugewachsen mit Wacholder und Kirschlorbeer: Der Garten 2017

Unsere Elterngeneration dachte noch an Krisenfälle. Eingemachtes in Gläsern und Dosen im Keller sind uns heute fern und kommen doch durch die aktuellen Ereignisse wieder ins Bewusstsein. Dabei muss es gar nicht um Krieg gehen. Der Begriff der „unterbrochenen Lieferkette“ ist wunderbar neutral, er passt für Handelsblockaden, Schiffsunglücke, Klimakrisen und Kriege gleichermaßen. Alle Krisen unserer heutigen Zeit weisen in die gleiche Richtung, dass nämlich Versorgung wieder regionaler gedacht werden müsste. Wir sollten handeln.

Alles ist doch jederzeit verfügbar?

Noch können wir uns in unserer hyperalimentierten Lebenswelt mit der Idee beruhigen: Es wird zwar ein paar Preissteigerungen geben, aber im Großen und Ganzen kommen wir schon durch, ohne auf Erdbeeren im Winter verzichten zu müssen. Das Mantra vom „alles ist jederzeit verfügbar“ scheint noch nicht gefährdet. Beispielsweise in afrikanischen Ländern sieht das anders aus. Wo Millionen Menschen von gerade ausbleibenden Weizenimporten abhängig sind, drohen existentielle Notlagen. Ein längerfristiges Denken würde endlich und massiv dort eine bessere regionale Lebensmittelversorgung unterstützen. Die Re-Regionalisierung der Landwirtschaft ist eine globale Frage.

Dazu arbeiten wir bei ISSO an einem Entwicklungsprogramm. Ein wunderbares Element hatten wir Ihnen im Januar vorgestellt, die Regenerative Pflanzenschule im Süden Portugals. Doch zurück zum heimischen Garten. Jetzt hat die Große Transformation nämlich unseren eigenen Garten erwischt. Weg mit den riesigen Koniferen und den Kirschlorbeeren unserer Eltern, mit den Rasenflächen, die ökologisch völlig nutzlos sind. Was entstehen soll, ist ein essbarer Garten, ein Stück Permakultur, ein Waldgarten, wie man es auch immer nennen möchte.

Behauen von den Römern: Gemüsebeete mit Zugang, und Mauern zum Wärmespeichern.

Alles beginnt mit einer Idee und dann den eigenen Wünschen. Es gibt wahrscheinlich keinen zweiten Bereich unseres menschlichen Wohnens und Seins, wo Vorstellungen und Realität so weit auseinandergehen können wie im Garten. Na gut, vielleicht beim Auto, wenn man lebenslang von einem Porsche träumt, sich aber nur einen Polo leisten kann. (Ist Polo eigentlich die Abkürzung von Porsche für Loser?)

Ein Gemüsegarten ist eine Entscheidung.

Ähnliches gilt auch beim Garten: Wie soll er aussehen, und was will oder kann man sich leisten? Ein Garten macht viel Arbeit, so habe ich es von meinen Eltern gelernt. Mein Vater war viel jünger als ich heute, als er sagte: Ich will diese viele Gartenarbeit nicht mehr. Nur, was hatten wir denn? Ein 1.000 m2 Grundstück mit Rasen in der Mitte und Rabatten außenrum. An der Seite, unterhalb meines Jugendzimmers, war nach Westen ein kleines Gemüsebeet, vielleicht 4,00m x 1,50m, wenn ich mich gut erinnere. Gewachsen ist da nie etwas Dolles.

Eine Sache aus dem Jahr 1978 fällt mir ein. Es war das Jahr der Pensionierung meines Vaters. Irgendwie war er auf die Idee gekommen, mitten im Garten ein Hügelbeet anzulegen. Ohne Bretter, einfach ein Haufen, unten Zweige, dann Laub und Erde. Darauf haben wir verschiedene Gemüse und Kräuter angepflanzt, alles wuchs einfach wunderbar, nach kurzer Zeit hatten allerdings die Zucchinipflanzen das komplette Beet mit ihren großen Blättern überwuchert. Wir schauten einige Tage nicht unter diese Blätter und fanden dann etliche Zucchini der fünf bis zehn Kilo Klasse. Die wurden entgegen der Meinung, diese Riesendinger würden nicht mehr schmecken, mit Hackfleisch gefüllt und überbacken, sie waren wunderbar. Was nicht verzehrt werden konnte, habe ich dann süß-sauer eingemacht. Leider war das, jetzt vor über vierzig Jahren, die letzte nennenswerte Erfahrung mit eigenem Gemüse.

Aber, spüren Sie nicht auch manchmal, dass etwas fehlt, wenn man gar keinen direkten Bezug mehr zum Boden und zu Nahrungsmitteln hat? Immer wieder gab es kleinere Projekte wie das „ISSO Upcycling-Projekt 2019“, den Tomatenwagen aus einem alten Basketballständer. Im Folgejahr wurde mit Markstammkohl und Palmkohl experimentiert, die Basis einer portugiesischen caldo verde. So kamen Urlaubserinnerungen in den Garten.

Schon längst werden Pflücksalate geerntet und auch die leckersten Kohlrabi

Im Frühjahr 2022 hat das Projekt Nutzgarten endlich richtig begonnen. Die Eichhörnchen freuten sich zwar bis dahin darüber, dass sie in luftigen Höhen balancieren und springen konnten, aber der Garten war dunkel, zugewachsen über Jahrzehnte mit riesigen Wacholdern und Kirschlorbeer. Jetzt ist endlich wieder Luft, und neue Pläne einer essbaren Landschaft können umgesetzt werden. Dabei kommen tonnenweise Steine zum Einsatz, die die Römer zuletzt angefasst haben: Eingelagerter Abraum aus unserer Baustelle am Florinsmarkt. „Neue“ Steine wären zwar besser behauen und leichter zu verarbeiten, aber diese Steine tragen so viel Geschichte in sich, wir wollten sie behalten.

Einmal entschieden, startet das Gemüsewunder schneller als man denkt.

Und so entstand ein Projekt, das wieder einmal Geschichte und Zukunft verbindet. Aus den „römischen“ Steinen entstand die Idee von gestalteten Gemüsebeeten, die den Garten gliedern, wie ein Hochbeet das Arbeiten etwas erleichtern und zudem in ihrer Ausrichtung Sonnenenergie speichern. Das nächste „Forschungsprojekt“ wird sein, eine schon ausgedachte Technik des maximalen Wassersparens zu erproben. Jedenfalls ist der erste Bauabschnitt ein toller Erfolg, zwischen Anlage und erster Ernte liegen gerade mal zehn Wochen.

Warum berichten wir das im ISSO Blog? Als Mutmacher, wieder ein wenig Selbstversorgung auszuprobieren. Es muss nicht das komplette Umgestalten des ganzen Gartens sein, das kleine Gemüsebeet reicht als Anfang. Wer sich damit ernsthaft beschäftigt, taucht in eine Welt ein, die zur wichtigsten Überlebensfrage werden könnte: Die Welt des Bodens, der Bodenlebewesen, von Humus und Kompost, Würmern und mehr. Das ist nicht iiiiih, sondern der Schlüssel zum Erhalt unserer Nahrungsversorgung. In Koblenz, in Portugal, und auch in Afrika.

 

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