Die Diskussion um Vor- und Nachteile des Homeoffice wird seit Langem geführt. Traditionell stehen sich dabei viele Mitarbeitende als Befürworter*innen und ein erheblicher Teil der Unternehmen als Skeptiker gegenüber. Das muss allerdings nicht so sein und verändert sich gerade im Kontext der Pandemie. Während bislang vielerorts die Anwesenheit als Goldstandard der Produktivität und Kontrollierbarkeit der Mitarbeitenden galt, ist es seit März schlicht notwendig geworden, diesen Status Quo zu hinterfragen. Wie die Erfahrungen mit dem Arbeiten von zu Hause bewertet werden, untersucht unter anderem eine Umfrage des ifo-Instituts: Dieser zufolge beobachten 27% der befragten Unternehmen eine gesunkene Produktivität, von positiven Entwicklungen berichteten lediglich 5,7%. Demgegenüber steht die Wahrnehmung zahlreicher Arbeitnehmer*innen, die sich im Homeoffice als produktiver einschätzen ebenso wie der Trend – gerade in großen Unternehmen – in Zukunft mehr auf Arbeiten außerhalb des Büros zu setzen. Auch fallen die Ergebnisse solcher Studien aufgrund entsprechend gewählter Untersuchungsdesigns oft im Sinne des Auftraggebers aus, während Validität und Reliabilität unklar bleiben.

Bill Gates jedenfalls prognostizierte kürzlich, dass die Bürotage in Zukunft um 30% sinken könnten. Bei den Geschäftsreisen geht der Microsoft-Gründer sogar von einer Halbierung aus – und fasst seine Vision zusammen: „Wir werden ein wenig ins Büro gehen und ein paar geschäftliche Reisen unternehmen“. Erleben wir also einen dauerhaften Rückgang der Mobilität in der Arbeitswelt? Wird die Teilnahme an Videokonferenzen von wo allen möglichen Orten auch nach Corona die meisten Meetings ersetzen?

Vielleicht. Dem stehen jedoch, neben Bedenken seitens der Arbeitergeberschaft, noch einige Hindernisse im Weg. Zunächst einmal braucht es dazu eine flächendeckende (Digital-)Infrastruktur und technische Ausstattung, die mobiles Arbeiten wirklich für alle möglich macht. Auch ergeben sich dadurch Fragen hinsichtlich der Verfügbarkeit geeigneter Heimarbeitsplätze – für die meisten dürfte, auch im Sinne der Work-Life-Balance, der Laptop am Küchentisch keine erstrebenswerte Dauerlösung sein. Zudem fehlt vielen Menschen im Homeoffice der Austausch mit anderen, der soziale Aspekt der Zusammenarbeit und die persönlichen Kontakte können darunter leiden. Das hat durchaus auch Folgen für die Produktivität, denn gerade kreative Arbeit profitiert vom spontanen, informellen Austausch und auch Feedback- und Führungskultur müssen „auf Distanz“ neu gedacht werden. Gesellschaftlich verstärkt der Trend zum Homeoffice bestehende Disparitäten, gerade für Menschen, die ihre Arbeit nicht so einfach mitnehmen können oder wegen fehlender Kinderbetreuung zu Hause dann doppelt gefordert sind (und durch ihr Engagement im Homeoffice die Funktion der gesellschaftlichen Arbeitsteilung garantieren). Das gilt nicht nur in Pandemie-Zeiten mit erhöhtem Ansteckungsrisiko in den systemrelevanten Berufen – auch darüber hinaus dürfte der Wandel der Arbeitswelt beispielsweise Mobilität, Immobilienmärkte und vieles mehr verändern und könnte möglicherweise den sozialen Zusammenhalt insgesamt schwächen.

Andererseits zeigen sich hier ebenso die Chancen dieser Entwicklung: Weniger Individualverkehr und Reisen, mehr Möglichkeiten für das Zusammenleben & Engagement im direkten sozialen Umfeld und Quartier, … . All das verweist darauf, dass flexiblere Arbeitsmodelle und mehr Homeoffice eine Chance für die Nachhaltigkeit sein können. Dabei geht es um mehr als die durch virtuelle Meetings eingesparten Emissionen der Anreise, zumal der Betrieb von Computern und Servern auch kluge Herangehensweisen zur Reduktion von deren Umweltimpact erfordert und Büros in mancherlei Hinsicht Effizienzvorteile bieten. Die ökologischen Potenziale des Arbeitens von zu Hause aus erstrecken sich auch auf Bereiche wie Flächenverbrauch und Städtebau, denn wenn die Bürogebäude weniger werden und die Zahl der Pendler*innen sinkt, ergeben sich neue Möglichkeiten, gerade in den Städten die Umwelt- und Lebensqualität zu steigern.

Auf sozialer Ebene könnte das Homeoffice eine Chance bieten, die Rolle der Arbeit der im Alltag neu zu verhandeln: Wie zentral soll der Job in Zukunft sein, welchen Raum im Tagesablauf kann er beanspruchen? Im Kontext von Trends wie zum Beispiel der Vier-Tage-Woche wird dabei das klassische Modell des „9 to 5“-Bürotags jedenfalls unter weiteren Innovationsdruck geraten. Dass im Zusammenhang mit dieser Fragmentierung von Arbeit jedoch auch die Verstärkung bestehender Ungleichheiten sowie prekäre Beschäftigungsverhältnisse und das Work-Life-Blending zu diskutieren sind, ist allerdings ebenso klar.

Die Frage kann also nicht sein „Büro oder Homeoffice?“, vielmehr wird es in Zukunft darum gehen, Arbeitsmodelle zu entwickeln, die den unterschiedlichen Anforderungen von Beschäftigten und Unternehmen gerecht werden und eine produktive und gesunde Arbeitsatmosphäre ermöglichen. Um das zu gewährleisten wird es mehr brauchen als ein Recht auf Homeoffice, wie es von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gefordert wird, denn mit dem Wandel der Arbeitswelt entstehen neue Herausforderungen, die es ganzheitlich zu adressieren gilt. Für Unternehmen heißt das zum Beispiel, dass sie ihre Mitarbeitenden in Zukunft werden überzeugen müssen, dass das Büro ein guter Ort zum Arbeiten ist und dort dank einer inspirierenden Atmosphäre wirklich bessere Ideen als zu Hause entstehen können.

Detaillierte Ergebnisse zur Bedeutung des Homeoffice gibt es in der Studie Homeoffice Experience: Eine empirische Untersuchung aus Nutzersicht während der Corona-Pandemie des Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation.

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