Wer die Vorträge der Aktion „Scientists for Future: Warum wir jetzt handeln müssen“ verfolgt, in diesem Jahr meist live gesendet aus dem Dreikönigenhaus in Koblenz, der hat vielleicht den Eindruck, es handele sich um eine lose Folge von Themen rund um den Klimawandel, die Kompliziertheit unserer heutigen Welt und irgendwie um gesellschaftliches Engagement.

Vordergründig zieht sich kein deutlicher roter Faden durch die Vortragsthemen. Wer jedoch genauer hinschaut, erkennt das Muster: Wir stehen täglich der Komplexität der von uns geschaffenen Welt gegenüber und sind im Grunde mit der Vielfalt, die wir Menschen selbst erzeugt haben, überfordert.

Was tun? Eigentlich müsste es doch eine eigenständige Wissenschaft geben, die sich mit den Folgen menschlichen Handelns beschäftigt. Gut, das tut irgendwie jede Fachrichtung. Im Bereich der Psychologie gibt es natürlich ein passendes Forschungsfeld, welches sich mit Wollen und Handeln beschäftigt. In den technischen Fachrichtungen bearbeitet man aber in der Regel nur die Sachfragen des konstruktiven Tuns und nur am Rande dessen Folgen auf uns Menschen selbst, auf unsere Umwelt und die globalen Lebensgrundlagen.

Wie Martin Görlitz (ISSO) eingangs des Vortrags „Technikfolgenabschätzung“ am 28.10.2020 berichtete, gibt es dieses Fach, seit weit über vierzig Jahren. Bereits in den 1970ern hat Görlitz als junger Studierender den Vortrag „technology assessment“ gehört und bekundet als Moderator sein ganz persönliches Interesse an diesem Vortrag.

Als Referent für das Thema „Technikfolgenabschätzung – Was verpflichtet uns zum Klimaschutz?“ konnte Herr Dr. Stephan Lingner vom IQIB in Ahrweiler gewonnen werden. Dr. Lingner ist wissenschaftlicher Koordinator für Technikfolgenabschätzung und war u.a. Projektleiter mehrerer interdisziplinärer Studien zur Klima- und Umweltvorsorge.

Aus dem, was hier eingangs „Kompliziertheit unserer heutigen Welt“ genannt wurde, wies Dr. Lingner zunächst auf die zwingende Notwendigkeit interdisziplinärer Ansätze hin. Wer das Thema wörtlich nahm und beispielsweise Informationen zum Einfluss technischer Errungenschaften auf die Biologie des Menschen erwartete, wurde nicht fündig. Aus einer übergeordneten Perspektive entwickelte der Vortrag die Breite der beitragenden oder zu berücksichtigenden Bereiche von der Weltwirtschaft bis zur Mikroökonomie, von der Politikwissenschaft bis zum Völkerrecht, letztlich auch von der Philosophie bis zur Umweltethik. Am Ende dieses Bogens stand dann die große Frage: Haben denn überhaupt zukünftige Generationen Rechte uns gegenüber, einen Anspruch an uns, und wie sollte dieser denn rechtlich einklagbar sein? Reicht es nicht, wenn wir uns um unsere unmittelbaren Kinder und Enkel kümmern? Und wenn nicht, bei welcher nachfolgenden Generation wäre denn Schluss mit unserer Verantwortung?

Warum in der Realität „so wenig passiert“, beantwortete sich dennoch in doppelter Weise: Die breite Auflistung von Hinderungsgründen, politischen und gesellschaftlichen Zielkonflikten, Möglichkeiten und Grenzen jeglicher Durchsetzung, all das nahm so viel Raum ein, dass der Zuhörer sich die Frage am Ende selbst beantworten konnte. Es ist offensichtlich leicht möglich, die Folgen unseres Handelns in vielfältiger Weise anderen „in die Schuhe zu schieben“ und – sogar mit wissenschaftlicher Begründung – zu erklären, warum nichts passiert.

Das ist nicht tröstlich und muss am Ende in jedem von uns als Aufforderung zum persönlichen Handeln verstanden werden. Ich welcher Weise auch immer, indem wir unsere politische Stimme erheben oder indem wir mit alltäglichen Verhaltensweisen unseren eigenen kleinen Beitrag leisten. Aufgeklärte Konsumenten wählen andere Produkte. Informierte Bürger lassen sich nicht mehr von jeder Werbung in die Irre führen. Wir sind in der Sache selbst gefragt, und doch dürfte sich das Fachgebiet Technikfolgenabschätzung ein wenig modernisieren und an konkreten Lösungen zu altbekannten Fragen arbeiten.

 

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