Prof. Dr. Ackermann hat Historische Ethnologie, Kulturanthropologie / Europäische Ethnologie und Kunstgeschichte an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt studiert. 1995 promovierte er an der Universität Bielefeld über Multikulturalismus in Singapur und Frankfurt am Main. Seit 2007 ist er Professor an der Universität Koblenz-Landau und leitet das Seminar Ethnologie am Institut für Kulturwissenschaft. Seit 2016 organisiert er alle zwei Jahre am Florinsmarkt ein Festival für den ethnografischen Film. In diesem Jahr findet es vom 10.-14. Juni statt – aber eben nicht am Florinsmarkt, sondern online. Ob dieser besonderen Situation haben wir Prof. Dr. Ackermann erneut drei Fragen zum 2RiversFestival gestellt.

1. Was ist das Besondere an ethnografischen Dokumentarfilmen und an einem Filmfestival wie dem 2Rivers, welches solche Filme präsentiert?

„Die Ethnologie lässt sich als die Kunst beschreiben, das Fremde vertraut werden zu lassen und das Vertraute fremd. Sie erforscht die Unterschiede – und damit gleichzeitig auch die Gemeinsamkeiten – menschlicher Kultur(en). Wurde das Fremde zu Zeiten des Kolonialismus vor allem in exotischen, fernen Ländern gesucht, so beschäftigt sich die Ethnologie heute, angesichts postkolonialer bzw. globaler Bedingungen, auch mit dem Fremden im vermeintlich vertrauten Eigenen auch ‚zuhause’. Ihre Einsichten gewinnt sie vor allem mittels der sogenannten „Teilnehmenden Beobachtung“, d.h. einer möglichst langen und intensiven Teilnahme an der Alltagspraxis der beforschten Gruppe.

Film kann in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen, und zwar nicht nur im Prozess der wissenschaftlichen Forschung, also der Gewinnung von Daten bzw. bei ihrer Präsentation, sondern vor allem auch bei der Vermittlung von Erfahrung an das Publikum. D.h. ethnografische Filme sind dann gelungen, wenn sie zulassen, dass die Zuschauerinnen sich selbst ein Bild bzw. eigene Erfahrungen machen und im vermeintlich Fremden auch Vertrautes entdecken können. 

Ethnografische Dokumentarfilme entstehen gewöhnlich in Zusammenarbeit mit den Gefilmten und nicht über die Gefilmten, sie basieren auf einem längeren Aufenthalt vor Ort mit entsprechender Sprachkompetenz und sind deshalb von besonderer Nähe und Einsicht gekennzeichnet. Zudem haben die Digitalisierung und damit einhergehende Demokratisierung auch im Bereich der Filmproduktion zu Diversität und Innovation beigetragen. Allerdings geschieht dies zumeist außerhalb der etablierten Formate von Kino und Fernsehen mit ihren redaktionellen Vorgaben, fixen Zeitfenstern und narrativen Strukturen.“ 

2. Warum lohnt sich der Besuch der 2Rivers Online-Edition, und wer kann wie teilnehmen? 

„Das 2Rivers zeigt aktuelle Dokumentarfilme aus aller Welt, die die Zuschauer*innen nicht bevormunden, sondern in die Lage versetzen, sich jeweils ein eigenes Bild zu machen. Damit bietet das 2Rivers die einzigartige Gelegenheit, Filme kennenzulernen, die üblicherweise nicht im Fernsehen oder Kino zu sehen sind.

Zu sehen sind in diesem Jahr – aufgrund der Corona-Pandemie – 35 (statt der ursprünglich 50 ausgewählten) Filme aus 28 Ländern. 11 davon wurden für den studentischen Wettbewerb zu den Themen Nachhaltigkeit und Esskulturen ausgewählt. Die Entscheidung, eine Online Edition des Filmfestivals auszurichten, ist uns nicht leichtgefallen. Filmfestivals leben vom gemeinsamen Anschauen der Filme und von den Begegnungen vor Ort. Doch dieses Format ist derzeit aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Krise nicht realisierbar. Daher wird uns die Festivalatmosphäre rund um den Florinsmarkt in Koblenz in diesem Jahr besonders fehlen. Um nicht vollständig auf die Begegnung und den Austausch mit den internationalen Filmemacher*innen verzichten zu müssen, wird das 2Rivers täglich wechselnde Live-Filmgespräche mit internationalen Filmemacher*innen streamen, an denen sich auch Zuschauer*innen beteiligen können. 

Besonders freuen wir uns in diesem Jahr daher auf die Filmmaker’s Choice mit dem renommierten französischen Filmemacher Stéphane Breton, dessen neueste Produktion FIRE’S DAUGHTERS im Hauptprogramm zu sehen sein wird. Weitere Filmgespräche werden u.a. mit der israelischen Filmemacherin Iris Zaki über ihren Film UNSETTLING, sowie mit der deutschen Filmemacherin Mirjam Leuze über ihren Film THE WHALE AND THE RAVEN jeweils abends um 19 Uhr stattfinden. Als Beitrag zum Kultursommer Rheinland-Pfalz, der in diesem Jahr unter dem Motto „Kompass Europa: Nordlichter“ steht, zeigt das 2Rivers eine Auswahl von Filmen aus dem Baltikum. Zudem konnten wir den litauischen Regisseur und Träger des europäischen Filmpreises Audrius Stonys für ein Gespräch gewinnen, bei dem er über sein Verständnis des baltischen Films sowie über seine Arbeiten sprechen wird. Einblicke in die Filmszene und Bedingungen der Filmproduktion in Myanmar gewährt uns zudem die Yangon Filmschool im Filmgespräch mit der Leiterin aus Berlin und weiteren Filmemacher*innen, die live aus Myanmar zugeschaltet werden sollen. Insofern bietet das 2Rivers trotz der Verlegung in den virtuellen Raum ein vielseitiges und spannendes Programm für Filminteressierte und Filmschaffende sowie Nachwuchsfilmemacher*innen.  

Teilnehmen kann man am 2Rivers über die Internetseite www.2rivers-festival.de. Hier werden die Filme über die Videoplattform Vimeo zum streamen zur Verfügung gestellt. Angelehnt an das Kontingent des Gewölbekellers am Florinsmarkt stehen insgesamt pro Film 150 Tickets à 3,90 € für 24 Stunden auf der Internetseite zur Verfügung. Die Filme des studentischen Wettbewerbs sind kostenfrei.“ 

3. Welchen Mehrwert haben diese Filme für die persönliche Sicht auf die Welt, bzw. wie trägt das 2Rivers zur Entwicklung einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesellschaft bei?

„Angesichts zunehmender Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie wachsender gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie z. B. Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus wird der Umgang mit Vielfalt und Teilhabegerechtigkeit zu einer dringlichen Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Dabei lassen sich die gegenwärtigen Diskussionen u.a. über Heimat, Meinungs- bzw. Religionsfreiheit oder Klimagerechtigkeit nicht aus der Distanz führen, betreffen sie doch unsere alltägliche Lebenswirklichkeit unmittelbar. Die Entwicklung politischer Standpunkte und zivilgesellschaftlichen Engagements sowie eines aufgeklärt-toleranten Umganges miteinander kann sich nicht nur auf Information und Kommunikation stützen, sie braucht auch Anschauung, Begegnung und Austausch – über unterschiedliche Lebensformen genauso wie gemeinsame Verpflichtungen, Normen und Werte. Eine wichtige Rolle dabei spielt die Qualität der Angebote, die uns darin unterstützen, das Eigene wie das Fremde vor dem Hintergrund verunsichernder Entwicklungen wie Digitalisierung, Migration und sozialer Polarisierung besser zu verstehen. Gerade in Zeiten von Twitter, vermeintlicher „Lügenpresse“ und der Verbreitung von fake news wird ‚die Wirklichkeit‘ zu einem zunehmend knappen bzw. umstrittenen Gut – sie ist eben nicht einfach das, was sich ‚da draußen‘ finden lässt, sondern das, was wir darüber wissen, davon verstehen und einander mitteilen können.

Das Medium Dokumentarfilm kann genau hier einen wichtigen Beitrag leisten, wenn es seinem Anspruch, authentische Porträts fremdkultureller Wirklichkeiten zu liefern, gerecht wird. Dann können „Ferne Welten plötzlich ganz nah“ rücken. 

In diesem Sinne möchte ich ganz herzlich dazu einladen, vom 10. – 14. Juni 2020 die Gelegenheit zu nutzen um sich ethnografische Dokumentarfilme ‚nach Hause zu holen‘ und über die Festivalwebseite mit internationalen Filmemacher*innen ins Gespräch zu kommen!“

Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie auf der Internetseite des 2Rivers-Festivals. 

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