Was hat Platons Höhlengleichnis mit der Digitalisierung zu tun? Nun, wenn man Prof. Eduard Zwierleins Worten am vergangenen Donnerstag im Dreikönigenhaus lauschte, weiß man, dass es eigentlich ganz einfach ist:

Prof. Dr. Zwierlein

In Zeiten der ständigen Erreichbarkeit, der Digitalisierung, die immer zügiger voranschreitet und unsere Lebenswelt tagtäglich verändert, ist es von immer größerer Bedeutung, sich selbst eigene Räume zu schaffen und mehr auf sich zu achten. Einen eigenen Weg zu finden, der digitalen Welt für einige Momente zu entkommen und sich Ruheinseln zu bilden, wird immer wichtiger. Genau hierum geht es in der Veranstaltungsreihe „Flow statt Burnout“ des ISSO-Instituts. In entspannter Atmosphäre kamen im Rahmen des ISSO Afterworks am vergangenen Donnerstag Interessierte im Dreikönigenhaus zusammen, um den Gedanken des Philosophen Prof. Dr. Eduard Zwierlein (Uni Koblenz) zur Digitalisierung zu lauschen und außerdem Martin Görlitz‘ persönlichen Weg, der Geschwindigkeit des Alltags auf ganz besondere Weise zu entkommen, kennenzulernen.

Martin Görlitz und Prof. Dr. Zwierlein im Austausch.

Was die Höhle für die Gefangenen im Gleichnis bedeutet, bedeutet für uns die Digitalisierung – gefangen in den Zwängen der ständigen Erreichbarkeit, dem immer schneller voranschreitenden Wandel, der uns kaum Zeit lasse, uns mit zu entwickeln – oder auch einfach durchzuatmen. Erst wenn wir es schaffen, aus der ständigen Erreichbarkeit heraus zu uns selbst zu finden und nach dem eigenen Tempo zu agieren, schaffen wir es, unsere Realität zu finden, so Zwierlein. Er beschreibt uns Menschen als Insassen eines Zuges, dessen Waggons und Lok aus technischem Fortschritt und Digitalisierung bestehen und der sich immer schneller vorwärts bewegt, wenn wir uns den Wandel nicht bewusst machen und den Zug entschleunigen. Die Menschheit müsse Strategien finden, mit der rasanten Bewegung, dem technischen Fortschritt, zurechtzukommen und auf sich und den Verlauf zu achten – dies beginne bei uns selbst.

Zwierleins Anleitung, wie ein gesundes und selbstbestimmtes Arbeiten in digital-agilen Zeiten“ gelingt, beinhaltet drei Perspektiven, die es im Hinterkopf zu halten lohnt:

  • Die Makro-Perspektive, das große Bild: Wir müssen uns die Herkunft und die Geschichte der Digitalisierung bewusst machen, um sie und ihre Dynamik zu verstehen, zu hinterfragen und zu durchbrechen – „Wir verstehen uns nicht, wenn wir die Geschichte nicht verstehen“ – so zitiert er Goethe. Wir befinden uns in einem Zeitalter und einem Breitengrad, in dem die absolute Freiheit zu herrschen scheint – Kirchen bleiben leer, Weltwunder werden durch naturwissenschaftliche Phänomene erläutert – wir scheinen über die absolute Freiheit unsere Orientierung zu verlieren. Gerade im Bereich der technischen Riesen scheine alles möglich, Grenzen verschwimmen oder werden immer wieder übergangen, insbesondere in Bereichen wie der Medizinethik. Wir scheinen uns zu einer Risikogesellschaft zu entwickeln, die einen Risikoplaneten bewohnt, die das Risiko nicht scheut, sondern alles für möglich hält, auch wenn die Natur uns inzwischen in vielen Situationen beweist, dass wir eben nicht allmächtig sein können.
  • Die Meso-Perspektive, das mittlere Bild: Wir müssen uns bewusst machen, dass die Digitalisierung eine Entwicklung, ein Erfolg der Wissenschaft, Technik und Ökonomie ist, der unsere gesamte Lebenswelt beeinflusst – egal, ob im Schul-, im Arbeitsfeld oder auch in unserer Privatsphäre. Die Digitalisierung begleitet uns nahezu pausenlos.
  • Die Mikro-Perspektive, unser kleines, persönliches Bild: Mit dem Wissen über die Entstehung der Digitalisierung, ihrem Einfluss und ihrer Bedeutung solltenwir es schaffen, unsere eigene Balance zu finden – es ist notwendig, unsere ganz persönlichen Arbeitsbedingungen in der digitalen Welt so zu gestalten, dass wir ausreichend Zeit haben, auf uns zu achten: durch eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Leben, zwischen Sozialem, Arbeit, Körper, Sinn und Freizeit.

Prof. Zwierlein rät dazu, frei, selbstbestimmt, sinnvoll, kooperativ und kreativ zu arbeiten und neben längeren Auszeiten eigene Ruheinseln zu finden – so wie er beim Ausdauersport oder täglichen Meditieren ohne technische Hilfsmittel- und diese als Rituale ins eigene Leben zu integrieren.

Martin Görlitz und Wegbegleiterin Martina

Im Anschluss berichtete Martin Görlitz‘ über sein vor Jahren etabliertes Ritual und seinen ganz persönlicher Weg,  aus dem Hamsterrad Arbeitswelt auszubrechen, zu entschleunigen und Kraft zu tanken für seine Projekte: Wanderungen mit Martina. Martina sei seine Muße-Helferin, die ihn darin unterstütze, langsam zu gehen, zu verhandeln und zu verharren: Martina ist eine Eselin. Dies beschreibt er auch in dem Buch „Arbeit 5.0 – Warum ohne Muße alles nichts ist“ Martin Görlitz empfindet die Wanderungen mit der Eselin, aber ohne Smartphone als seine Möglichkeit, Mikroabenteuer zu erleben, sich zumindest für eine Weile davor zu schützen, ständig die Uhr im Auge zu haben. Er entwickelt dabei sein ganz eigenes Zeitgefühl – der Weg scheint hier das Ziel, ein Weg, der im Tempo des Esels vorgegeben wird, des Esels, der kein Bewusstsein hat für Zeitdruck, Stress oder Zielstrebigkeit. Martina lehre ihre menschlichen Begleiter tagtäglich auf’s Neue, im Hier und Jetzt anzukommen, den Moment zu erleben und die Gedanken an Vergangenheit und Zukunft zumindest für einen kurzen Augenblick über Bord zu werfen.

„Arbeit 5.0 oder warum ohne Muße alles nichts ist“ – zu erwerben bei ISSO.

Prof. Dr. Eduard Zwierlein ist seit 2008 außerplanmäßiger Philosophie-Professor an der Uni Koblenz-Landau und bereits seit 1990 als Unternehmensberater für Dienstleistungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Führungskräfteentwicklung tätig. Seine Gedanken zum Thema „Arbeit 5.0 – Warum ohne Muße alles nichts ist“ beschreibt er, wie auch Martin Görlitz, in einem Beitrag im gleichnamigen Buch. Dies ist im ISSO-Institut zu erwerben.

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